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27.12.2019
Enrico Parmeggiani: Meine Begegnung mit dem chinesischen Amur #1
Forge Tackles Enrico Parmeggiani ist süchtig, süchtig nach Reisen und Karpfenangeln. Dass sich beide Passionen wunderbar verbinden lassen, beweist er in unserer dreiteiligen Weihnachtsstory. Durch einen Zufall stieß Enrico in China auf den schwarzen Amur, einen fleischfressenden Verwandten unseres heimischen Karpfens und war sofort von dem Graskarpfen ähnlichen Fisch angetan. Doch bevor er schließlich einen dieser urigen Fische in den Händen halten durfte, musste Enrico zunächst viele offene Fragen klären. Begleitet ihn auf seiner Suche nach diesen außergewöhnlichen Fischen…Was mich zum Angeln bringtLasst uns ehrlich sein. Jede Facette des Angelsports ist wunderbar (naja, zumindest fast jede). Jeder von uns hat seine eigenen Gründe, sich mehr am Fliegenfischen, Kunstköderangeln, Matchangeln, oder was auch immer zu erfreuen. Im Laufe meines Lebens habe ich zahlreiche verschiedene Angelarten ausprobiert. Ich bin weit gereist, um die verrücktesten Fischarten zu fangen, die ihr euch nur vorstellen könnt. Am Ende kehre ich jedoch immer wieder zu meinen Wurzeln zurück und verwende all meine Energie und Hingabe für das, was meine wahre und wahrhaftige Leidenschaft ist: das Karpfenangeln. Es gibt da etwas, dieses Gefühl, das dem modernen Karpfenangeln innewohnt. Das habe ich bei meiner Jagd auf andere Fischarten nie erlebt. Ich glaube, es ist diese Taktik, aus dem Hinterhalt heraus „anzugreifen“, die wir meist einsetzen müssen, die tausenden sich verändernden Faktoren, die wir berücksichtigen müssen, um ein neues Gewässer zu verstehen oder um unseren Traumkarpfen zu fangen. Wahrscheinlich klingt das für viele andere Menschen nicht so leicht und vielleicht auch nicht lustig, aber für mich ist es genau das, was mich zahllose Stunden hinter den Ruten ausharren lässt und mit was ich mich gedanklich andauernd beschäftige, um bei meiner nächsten Session meine Chancen zu verbessern. Abgesehen davon ist das Karpfenangeln eine Disziplin, die auf so vielfältige Weise ausgelebt und –gelegt werden kann und wir leben zudem in einer Zeit, in der es leichter denn je ist, zu reisen, sich zu treffen und Erfahrungen mit Menschen aus aller Herren Länder auszutauschen. Und lasst euch eines sagen: in fast allen dieser Länder unseres Planeten schwimmen Karpfen!Da ich absolut süchtig nach Reisen bin, habe ich über die Jahre gelernt, dass die Karpfenangelei eine hervorragende Ausrede dafür ist, seine Koffer zu packen und auf der Suche nach einem Abenteuer in ein Flugzeug zu steigen. Es sind genau diese Abenteuer, die den persönlichen Erfahrungsschatz enorm bereichern und bei der Alltagsangelei zuhause richtig hilfreich sein können. Dies sind beispielsweise unterschiedliche Herangehensweisen, die unter unvorhergesehenen Umständen unabdingbar sind und uns zum Umdenken zwingen und dazu, Dinge zu tun, an die wir bei unserer bequemen Angelei zu Hause nicht im Traum gedacht hätten.Von chinesischen Geschäften und Fischen Für mich persönlich war China die größte und gleichwohl längste Herausforderung, die ich in meinem Anglerleben auf der Suche nach Karpfen oder Karpfen-verwandten Fischen anging. Die Zeit, die ich dort verbrachte und in der ich mich mit dieser komplett verschiedenen Kultur auseinandersetzte, ist bis zu diesem Zeitpunkt die wahrscheinlich kostbarste Erinnerung, die ich besitze. Als ich das erste Mal nach China reiste, dachte ich noch nicht einmal ans Karpfenangeln. Naja, ehrlich gesagt schon, aber auf eine andere Art und Weise. Denn zu diesem Zeitpunkt war ich für die Produktentwicklung für eine große Tacklefirma zuständig und aus diesem Grund ging ich ziemlich häufig nach China. Erst nach ein paar Jahren gelang es mir, während eines Businesstrips ein wenig Freizeit zur Verfügung zu haben und eines Morgens beschloss ich, einem der größten Angelgeschäfte in der Stadt Hangzhou einen Besuch abzustatten. Eine wahrhaft amüsante Erfahrung! Nach ein bisschen Kennenlernen und Smalltalk mit den Angestellten hatte ich endlich die Möglichkeit, zwischen den Regalen herumzuschlendern und das zu entdecken, was ein hochangesehener chinesischer Angelladen zu bieten hatte; zu meiner Enttäuschung nichts wirklich Interessantes: Grundfutter, Liquids, Stippruten und Posen (einige handgemachte Posen lagen bei deutlich über 100 Euro pro Stück!!!). Auf diese Art fischen 99% der Chinesen. Der Rest verteilt sich auf ein bisschen Kunstköderangeln und Grundfischen mit Stationärrollen. Zu meiner großen Verwunderung gab es jedoch tatsächlich eine „Specimen-Corner“ im Geschäft, die jedoch auch nur Stippruten und Posen bereithielt. Diese fielen nur etwas größer und stärker aus, ausgelegt auf große Karpfen, was in diesem Fall Exemplare von circa fünf Kilogramm bedeutete.Mein erster Kontakt mit dem Black CarpNachdem ich einen traditionellen grünen Tee mit dem Geschäftsinhaber getrunken hatte, war es Zeit für mich zu gehen. Als ich jedoch gerade zur Tür hinaustreten wollte, wurde meine Aufmerksamkeit auf ein altes, staubbedecktes Bild desselben Inhabers gelenkt, der einen gewaltigen, einem Graskarpfen ähnlichen, Fisch hielt. Ich nahm das Bild von der Wand und ging schnurstracks zurück zu dem Mann, mit der Absicht zu fragen, was das für ein Fisch sei. Noch bevor ich die Frage stellen konnte, lächelte er mich an und sagte „Qing Yu“, den chinesischen Namen für diese Fischart. In der Zwischenzeit war ein junger Kerl in den Shop gekommen um Grundfutter zu kaufen und – dem Himmel sei Dank – er sprach Englisch. Somit war das Problem des Übersetzens erledigt. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Fisch um einen Black Carp, oder – wie er in einigen osteuropäischen Ländern genannt wird – Skoikarpfen handelte und zu meiner Überraschung schien die Gegend zwischen Hangzhou und Shanghai, laut Aussage des Managers, das beste Gebiet in ganz China zu sein, um auf diese Fische zu angeln. Der Black Carp ist ein fleischfressender Verwandter unseres Karpfens und ernährt sich vorwiegend von Schnecken, Muscheln und jeglicher Art von Süßwasserkrustentieren. Zudem teilt er sich mit unserem Liebling auch noch die gleichen Gewässer; ich war zu diesem Zeitpunkt also bereits doppelt motiviert. Falls ich es schaffen sollte, mich auszurüsten und einen Ort zu finden, an dem ich auf Karpfen angeln konnte, durfte ich also zeitgleich auf die Chance hoffen, einen „Qing Yu“ zu fangen! Das einzige Problem bestand darin, herauszufinden, wie man einen von ihnen fängt. Da die große Mehrheit der Chinesen nur mit Stipprute und Pose angelt, fangen sie schlicht keine größeren Exemplare dieser Fischart, da sie nicht darauf angeln. Zu diesem Zeitpunkt war ich nervös wie ein kleines Kind am Tag vor Weihnachten und in meinem Kopf herrschte bereits ein Sturm voller Ideen, wie ich es angehen und letztendlich ein paar dieser Tiere fangen könnte.The mission begins – Detektiv P. recherchiertWährend des nachfolgenden Jahres verbrachte ich viel Zeit damit, herauszufinden, wo ein paar Angeltage möglich wären und zeitgleich versuchte ich, Kontakte mit Anglern vor Ort, in der großen Mehrheit Ladenbesitzer, die sich ein wenig mit der Zielfischangelei auseinandersetzten, zu knüpfen. Zu dieser Zeit flog ich jeden zweiten Monat nach China, also war die Kontaktaufnahme nicht allzu kompliziert. Eines Tages kam ich in einen Angelladen, dessen erster Eindruck mich zunächst anmachte: es war eng und chaotisch, sogar sehr chaotisch, um ehrlich zu sein. Aber just in dem Moment, in dem ich das Geschäft betrat, wusste ich, dass ich am richtigen Ort war. Die Wand hinter dem Bedientresen war mit Bildern von Schuppenkarpfen guter Größe bedeckt – leider alle tot. Dazu kam eine Handvoll Bilder von Black Carp. Das alles sagte mir: „Das ist mein Mann!“ Dank der Hilfe eines meiner chinesischen Partner, der mich zu diesem Zeitpunkt begleitete, gelang es mir, Herrn Qi zu einem Abendessen im weiteren Verlauf der Woche einzuladen, um mit ihm über das Angeln zu plaudern und Erfahrungen auszutauschen. Herr Qi war im Geschäft noch recht still gewesen und hatte mir so das Gefühl vermittelt, dass er nicht gerade willens war, allzu viele Infos mit mir auszutauschen. Dies änderte sich schlagartig, sobald wir im Restaurant saßen und ich ihm einige Bilder großer europäischer Karpfen auf meinem Smartphone zeigte. Er brach schier vom Glauben ab, während er durch meine Bilddateien scrollte. Noch nie in seinem Leben hatte er Karpfen von diesen Ausmaßen gesehen.Schwer zu beeindruckenNatürlich wollte er jedes Detail unserer Angelei genau erklärt bekommen und Ihr könnt euch nicht vorstellen, was er für ein Gesicht machte als ich ihm erzählte, dass wir den Haken nicht mit dem Köder bedecken. Er konnte es einfach nicht glauben und begann fast, sich darüber aufzuregen, denn er glaubte ich würde mich über ihn lustig machen. Glücklicherweise hatte ich ein paar Bilder von Karpfen auf der Abhakmatte, die das Rig noch im Maul hatten. So konnte ich dieses interkontinentale Missverständnis gerade noch zurechtrücken. Nachdem ich eine Stunde lang erklärt hatte, sagte er lediglich: „Interessant. Aber ich bin sicher, europäische Karpfen sind ziemlich dumm. Deshalb lassen sie sich mit einem Haken fangen, der nicht von einem Köder bedeckt ist. Die Karpfen hier sind sehr clever und misstrauisch, deshalb werde ich sie weiter mit meiner Methode beangeln.“ Ich entgegnete: „Naja, ok, aber jetzt sind Sie dran. Erzählen Sie mir mehr über die Karpfen und Black Carp hier bei Ihnen.“ Ich war ehrlicherweise wesentlich mehr an den Black Carp interessiert, da diese für mich etwas Neues darstellten und ich das feste Vorhaben hatte, einen davon in meiner Bildergalerie zu verewigen.Um die Karpfen machte ich mir derweil keine großen Sorgen. Etwas Grundfutter und Dosenmais sollte dieses Problem aus der Welt schaffen. Alles was es bedurfte, war es, ein Gewässer zu finden, das nicht regelmäßig abgefischt wurde wie die meisten der kleinen Seen, Kanäle und Flüsse. Unglücklicherweise gibt es in China keinerlei Regelungen für die Fischerei im Süßwasser. Wo das Angeln erlaubt ist, gibt es keine Mindestmaße, keine Schonzeit für das Laichen und selbst als Privatperson kann man sogar ein Kiemennetz kaufen und damit so oft, wo und wieviel man auch immer möchte, fangen. Das ist auch der Grund dafür, dass in den meisten dieser Gewässer keine großen Fische schwimmen.Ein voller ErfolgAber nun zurück zum Qing Yu, oder – wörtlich übersetzt – „schwarzen Fisch“. Während des gemeinsamen Abendessens gelang es mir, einige recht interessante Informationen zu sammeln: der Fisch kann bis zu einer Länge von 170cm und einem Gewicht von annähernd 100kg heranwachsen. Wir sprechen hier also über Angeln für echte Männer! Mr. Qi erklärte mir detailliert, wie er auf Black Carp fischte und ich muss sagen, dass sich diese Methoden kaum von denjenigen unterschieden, die wir für die Karpfenjagd verwendeten, bevor unsere britischen Freunde die Haarmontage erfanden: jede Menge Futter, das Tage vor dem eigentlichen Angeln ins Gewässer eingebracht wird – meist Grundfutter, Pellets auf Schnecken- und Muschelpulverbasis, sowie gekochter Mais. Der Hakenköder bedeckt den Haken, besteht aus einer unglaublich stinkenden Paste und wird auf dem Futterplatz gefischt. Den Menschen vor Ort machte es laut Mr. Qi hierbei nichts aus, ob am Ende der Schnur nachher ein Schuppenkarpfen oder Black Carp hing. Seiner Meinung nach war die einzige Möglichkeit, um sicher einen der Zielfische zu selektieren, das, was ein Angel-Guru aus dem Umkreis bereits lange vor dieser Zeit gemacht hatte. Er nutzte Süßwasserschnecken als Köder. Hierbei handelt es sich um ein extrem selektives System, das die meisten Einheimischen nicht nutzen, weil über lange Zeit überhaupt keine Aktion beim Angeln einsetzt. Das Abendessen war ein voller Erfolg. Nicht nur, dass ich in Kontakt mit einem Angler vor Ort kam. Nein, ich konnte auch eine Menge wichtiger Informationen sammeln; ein weiterer kleiner Teil des Puzzles war vervollständigt.Wie Enricos Story weitergeht erfahrt ihr bereits am Montag (30.12.19) im zweiten Part.