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Deine Story / 01.10.2024

Simon Häberle - Sternstunden in Südfrankreich Teil 3

Nach über zwei Wochen am See und an derselben Stelle war es nun an der Zeit, in den letzten Tagen noch einmal alles zu geben. Die Fische hatten die Plätze bezogen und fraßen! Um die Mittagszeit fing ich einen weiteren Fisch und entschloss mich, kräftig nachzufüttern – ein Mix aus Seafood- und VNX-Boilies, großzügig auf meinen Angelplätzen verteilt. Ein letztes Mal nahm ich die Ruten aus dem Wasser, um den Schnur- und Angeldruck zu reduzieren und mit reichlich Futter für positive Effekte zu sorgen.

Bevor ich mich schlafen legte, hörte ich aktive Fische, die nicht weit von meinem Futterplatz entfernt die Wasseroberfläche durchbrachen. Die Zeichen standen also gut!

Big-Fish-Stimmung

06:00 Uhr – am Vortag stellte ich mir den Wecker, um die Ruten noch vor Sonnenaufgang auf die Futterplätze zu legen. Mittlerweile wusste ich genau, wie die Montage liegen muss – fast schon Routine. Es dauerte keine halbe Stunde, und alles war bereit für den ersten Biss. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und war erneut ein Dauerglüher auf meinem RX+. Ein kleiner Schuppi hatte angebissen.

Rute wieder raus und ordentlich Boilies darüber – hier mussten auch die Großen fressen. Die schweren Schläge, die ich in der Nacht zuvor gehört hatte, machten mich sicher, dass auch die großen Fische an meinem Buffet teilnahmen – nur eben langsamer als die Kleinen.

Ein konstant niedriger Luftdruck sorgte für absolutes Fangwetter. Ich war sicher: Das war die Ruhe vor dem Sturm!

Aussitzen und Durchhalten

Nach über zwei Wochen alleine am Wasser waren meine Lebensmittelvorräte fast aufgebraucht. Ohne aktive Kühlmöglichkeiten (die Gasflasche für den Kühlschrank war leer) und wenig Stauraum waren die frischen Vorräte vollständig aufgebraucht. Zum Frühstück gab es nur noch Müsli mit Kaffee, und am Nachmittag stand Reis oder Nudeln – ohne Soße – auf dem Speiseplan. Kulinarisch war das alles andere als ein Genuss.

Den Platz und die Fischaktivität aufzugeben, nur um einkaufen zu gehen? Keine Option! Ich war im/am Fisch und fing mir sprichwörtlich die Finger wund. Jetzt abzubrechen, wäre keine Option gewesen! Doch die Belohnung sollte kommen – und zwar richtig dick!

Chaos, Triple-Lauf und Personal Best

Und ich sollte recht behalten.

Bis zum späten Nachmittag blieb es ruhig, doch dann kam nach einer längeren Flaute ein langsamer Biss. Eine Rute, die seit drei Tagen keine Aktion gezeigt hatte, meldete sich. Schnell war ich auf dem Boot, der Fisch stand tief in der Kante und verlangte mir alles ab. Die Rute war bis zum Anschlag gekrümmt, meine Rolle gab ganz langsam nach. Plötzlich hörte ich laute Rufe vom Ufer. Eine Wandergruppe schrie mir auf Französisch etwas zu und zeigte hektisch auf meine andere Rute – Doppelbiss! Was tun?

Mit meinen paar Brocken Französisch und viel Gestik deutete ich der Gruppe, die zweite Rute zu nehmen und den Fisch irgendwie zu stoppen. Später stellte sich heraus, dass einer der Wanderer ein lokaler Angler war und mit der Rute umgehen konnte. Gestresst und völlig fokussiert drillte ich den extrem kampfstarken Fisch aus – und beim ersten Versuch landete er im Kescher. Als ich den Fisch ins Boot hob, wurde mir klar, dass er ein guter 50-Pfünder sein musste. Ohne viel Zeit zum Genießen raste ich ans Ufer, um die andere Rute zu übernehmen. Der Fisch hatte sich in einer Unterwasserwurzel verfangen, doch mit etwas Glück konnte ich ihn befreien und erfolgreich ausdrillen.

Der Dank ging an den Franzosen, der mir den zweiten Fisch wohl gerettet hatte. Ein schnelles Gruppenfoto für die Erinnerung – und weiter ging’s.

Der zweite Fisch war ein massiver Schuppenkarpfen, knapp an der 20-Kilo-Marke vorbei. Doch die Überraschungen hörten nicht auf: Als ich mich gerade dem ersten Fisch widmen wollte, hörte ich erneut meine verbliebene Rute ablaufen – Vollrun! Völlig irritiert baute ich den Kescher wieder auf, stieg zum dritten Mal ins Boot und ging dem Fisch entgegen. Der Kampf war dieses Mal schnell vorbei: Ein Schuppi mit über einem Meter Länge und 20,8 Kilo Gewicht.

Zurück am Ufer musste ich mich erst einmal sammeln. Was war da gerade passiert? Triple-Lauf! Dieser Moment war unfassbar – drei Fische auf einmal, und dann noch mein persönlicher Rekord: Ein Spiegler mit 27,2 Kilo. Ein Monsterfisch, makellos und kurz vor dem Laichgeschäft. Im Abendlicht machte ich ein paar tolle Bilder der drei Fische und legte erneut eine große Menge Boilies und Tigernüsse aus. 

Jetzt war Futter gefragt!

Zeit – der beste Köder

Am nächsten Tag ging es fast genauso weiter. Mittlerweile liefen alle Ruten konstant. Ein wunderschöner Schuppi vor atemberaubender Kulisse am Morgen, am Abend dann ein 22-Kilo-Spiegler – was will man mehr?

Das Futterkonzept ging auf: Die Fische hatten es voll angenommen. Ich hatte auf Boilies umgestellt und fütterte große Mengen konzentriert auf die Plätze – mit vollem Erfolg! In der Nacht wurde ich kurz nach fünf Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen. Ein langsamer, gleichmäßiger Biss zog die Schnur von der Rolle. Im Mondschein landete ein kugelrunder Schuppi jenseits der 20-Kilo-Marke in meinem Kescher.

Diese Session war surreal – so viele große Fische in so kurzer Zeit. Ein unbeschreibliches Gefühl, das ich wohl so schnell nicht wieder erleben werde. Zeit war in diesem Fall der beste „Flavour“, genauso wie die Strategie, die Futterplätze systematisch aufzubauen und zu beangeln.

Vorletzte Nacht

Nach weiteren tollen Fängen entschied ich mich am vorletzten Abend, die Ruten mit einem großen, unauffälligen Hakenköder und nur wenig Beifutter auszulegen. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang weckte mich erneut ein langsamer Biss. Müde und erschöpft drillte ich den Fisch, der tief ins Barragebecken gezogen war. Wie ein Betonsack stand er dort in großer Tiefe. Plötzlich ging alles schnell: Der Fisch kam hoch, umgeben von riesigen Blasen, und im Licht des Vollmonds und meiner Kopflampe konnte ich ihn keschern. Wieder ein riesiger Fisch! Die Waage zeigte den dritten 50-Pfünder dieser Session.

Julien – Ein Freund fürs Leben

Am Nachmittag fuhr ein weiteres Auto auf die Slipanlage. Mit einem voll bepackten Boot steuerte ein mir unbekannter Mann samt Hund auf mich zu. Es war ein Franzose, ein lokaler Angler, der überraschend freundlich und fließend Englisch auf mich zukam. Nach einem kurzen Gespräch zeigte ich ihm stolz die bisher gefangenen Fische auf meinem Handy. Julien, wie er sich vorstellte, kannte das Gewässer seit vielen Jahren und war beeindruckt von den Fischen, die ihm teilweise sogar unbekannt waren. Die Chemie zwischen uns stimmte sofort. Als er meine leeren Vorratskisten sah, bot er an, mich noch am selben Abend mit Baguette, Bier und Salami zu versorgen. Wie ein Geschenk des Himmels nahm ich das Angebot dankend an.

Ich zeigte ihm, wo ich zuletzt gut gefangen hatte, und er setzte sich etwa 150 Meter rechts von mir an eine Stelle. Kurz bevor Julien und sein Hund „Bongat“ am Abend meinen Platz erreichten, bekam ich auf eine frisch ausgelegte Rute einen Biss. Schnell sprang ich ins Boot und fuhr dem Fisch entgegen, doch plötzlich – zack, weg! Zum Glück hatte ich ein fertig montiertes Rig an Bord, sodass ich die Rute mit etwas Beifutter schnell wieder auslegen konnte.

Zurück am Ufer erwartete mich Julien bereits mit einem Festmahl: Ein warmes Schinken-Käse-Toast und ein eiskaltes Kronenbourg-Bier. Nach über einer Woche mit Müsli, Reis und Nudeln war das für mich der Himmel auf Erden. Die Zeit verging im Flug, und wir unterhielten uns prächtig über Gott und die Welt. Am nächsten Morgen, gegen sechs Uhr, riss mich ein plötzlicher Alarm aus meinen Gedanken – die Distanzrute! Der Bissanzeiger schoss in die Höhe, und als ich im Schein der Kopflampe unter das Boot schaute, wurde mir schnell klar: Das ist ein Gigant, der meinen erst kürzlich aufgestellten Personal Best knacken könnte. Der Drill zog sich hin. Der Fisch hatte eine immense Kraft, und ich wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. Nach über 20 Minuten war es endlich so weit – der Fisch kam hoch. Ich wusste, dass ich diese Chance nicht vergeuden durfte, drehte den Motor voll auf und hielt den Kescher bereit. Ein Schub, und das Ding war drin!

Beim Blick in den Kescher verschlug es mir die Sprache: Ein massiver, unvorstellbar langer Spiegelkarpfen lag vor mir! Atemlos steuerte ich zurück ans Ufer, wo Julien bereits gespannt wartete. „Vingt-cinq (fünfundzwanzig) Kilo minimum“, rief ich voller Euphorie. Als Julien jedoch den Fisch im Kescher sah, veränderte sich sein Blick schlagartig. Zittrig hängten wir den Fisch an die Waage, und Julien verkündete fassungslos: „28,2 Kilo, mein Freund!“ 

Es war der dritte Personal Best in weniger als zehn Tagen. Sprachlos versorgten wir den Fisch und genossen den Moment unter der aufgehenden Sonne in vollen Zügen. Was für ein Abschluss, was für ein Fisch – und das in der letzten Nacht! Solche Geschichten schreibt wirklich nur das Karpfenangeln.

Goodbye – bis zum nächsten Wiedersehen

Der letzte Morgen meiner Angelsession brach an, und ich konnte es kaum glauben: Ich hatte alles erreicht, was ich mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Die Session war einfach perfekt. Bevor ich mich verabschiedete, überließ ich Julien meine Ruten. Auch er konnte am letzten Angeltag noch drei weitere schöne Fische fangen.

Während Julien weiter auf Erfolgskurs war, begann ich, mein Equipment zu reinigen, die Eimer zu säubern und alles für die lange Heimfahrt ordentlich zu verstauen. Es ist heutzutage fast undenkbar, auf so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von einem einheimischen Angler zu stoßen, wenn man als ausländischer Gast unterwegs ist. Oft habe ich an öffentlichen Gewässern in Frankreich Neid und Missgunst erlebt. Doch hier war alles anders – es war perfekt. Bevor ich ging, erklärte ich Julien noch meine Taktik, die richtige Vorgehensweise und die Rigs sowie die Köder. Ich ließ ihm auch meine letzten Reste da, und so gingen wir beide in die letzte Nacht. 

Am nächsten Morgen hieß es dann Abschied nehmen und den Heimweg antreten. Bei strahlendem Sonnenschein und 26 Grad packte ich zusammen. Eine Session wie aus dem Bilderbuch. Die über zwölf Stunden lange Rückfahrt verging wie im Flug, und so war ich bereits am frühen Morgen wieder zu Hause.

Das Puzzle war komplett!

Es war nicht nur die beeindruckende Anzahl an Ausnahmefischen, die diese Zeit perfekt gemacht hat. Es war die Entwicklung von anfänglichem Frust bis hin zu einem wahren Big-Fish-Chaos und die Freundschaft, die sich daraus entwickelt hat. Alles passte zusammen: das Umfeld, das Wetter, der Zeitpunkt. Es sollte einfach so sein! Ich bin stolz darauf, diesen langen Trip mit all seinen Höhen und Tiefen alleine durchgezogen zu haben.

Danke, Julien! Und danke an dich als Leser, dass du dir die Zeit genommen hast, meine unfassbare Geschichte zu lesen.

Tight lines
Simon Häberle
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Florian Woldt fängt den Fisch seines Lebens.