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Deine Story / 13.01.2021

Jonathan Gribs: Gegen Routinen, gegen Gewohnheiten

Was kommt dabei heraus, wenn man sein eigenes Angeln immer wieder aufs Neue hinterfragt? Jonathan Gribs hat sich in den letzten Jahren in Theorie und Praxis immer wieder mit dieser Frage auseinandergesetzt und gewährt uns heute einen tiefen Einblick in seine Gedankenwelt. Viel Spaß beim Lesen!

Routinen und Gewohnheiten definieren unseren Alltag, ohne sie hält das Chaos schnell Einzug. Nicht anders ist es natürlich beim Angeln, der Lieblingsplatz am Hausgewässer oder der eine Köder der „immer" fängt. Diese Dinge geben uns Vertrauen in unsere Entscheidungen und unser Handeln. Aber wie viel davon ist wirklich gut für unser Angeln und wann stecken wir in einer Sackgasse?

Wer bin ich und warum schreibe ich diese Zeilen?

Ich bin definitiv kein „Bigfish Hunter" und habe auch noch nie einen See auf den Kopf gedreht. Aber ich liebe das Angeln. Es ist ein Anker in meinem Leben und, seit ich denken kann, ein Teil von mir. Vor drei Jahren war mein Hobby auf dem Tiefpunkt, ich habe wenig und unproduktiv geangelt. Die wenigen Nächte im Jahr waren frustrierend und haben meistens in einem Blank geendet. Ich steckte in einer Sackgasse. Das erste Mal in meinem Leben habe ich hinterfragt, ob Angeln wirklich das Richtige ist und war kurz davor, mein Tackle einfach zu verkaufen. Jeder Artikel und jede Fangmeldung im Internet haben genervt, aber gelesen habe ich sie trotzdem, denn ganz loslassen ging nicht. Irgendwann fand ein Buch über das „Picknicken für Fortgeschrittene“ den Weg in meinen Besitz und mein Frust wandelte sich durch eine Aussage in Motivation: „Manchmal ist der Beste Köder die Zeit". Das war der Startschuss, ich fischte nun viel häufiger und vor allem regelmäßig. Die Resultate kamen und die Nächte zwischen den Arbeitstagen waren und sind zwar manchmal anstrengend, aber für meinen Alltag der beste Weg. Seitdem sind zweieinhalb Jahre vergangen und einige Karpfen fanden den Weg in meinen Kescher.

In dieser Zeit änderte sich meine Angelei immer weiter, ich steckte mehr Zeit und Arbeit hinein und wurde dafür manchmal sogar belohnt. Durch den Alltag bestimmt sind meine Ansitze meist kurz, oft nur 2-3 Stunden an einer der lokalen 50 Hektar großen Kiesgrube. Es macht mir wieder Spaß und wann immer der Alltag es zulässt, geht es an den See. Ich möchte hier von einigen Schlüsselmomenten erzählen und meine Gedanken mit euch teilen, welche mir in den letzten Jahren durch den Kopf gingen.

08.05.2020 - Noddys in Frankreich

Paylakes –  Ein Thema, das einen Monat vor dem Urlaub mit meinem Vater in den Medien hochkochte. Wir hatten uns exklusiv einen kleinen See in Frankreich gemietet, mit Haus, Dusche und Küche. Wenig Abenteuer und viel Komfort an einem See, wo einem das Fangen sehr sicher war. Dies war zu dem Zeitpunkt für mich und auch für meinen Vater, der eigentlich gar nicht gezielt auf Karpfen angelt, ideal. Wir hatten, bei 35 Grad im Mai, eine großartige Zeit, fingen 30-40 Karpfen, was mehr war als die letzten beiden Jahre zusammen und genossen einen Vater/Sohn-Urlaub wie er im Buche steht. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Und was genau bringt einem das für seine Angelei?

So ein Trip hat ja im Prinzip nichts mit dem Angeln Zuhause zu tun, wenn man ehrlich ist. Kurz gesagt geht es dabei um Vertrauen. In die Rigs, ins Futter, in die Taktiken und z.B. auch ins Fische halten und fotografieren. Natürlich ist wenig davon 1:1 übertragbar und trotzdem gibt es einem den Vorschub an Vertrauen, um bei einem Blank nicht zu viel zu hinterfragen. Meine Lehre daraus: Man sollte es sich nicht die ganze Zeit selber schwer machen. Ab und zu einfach mal Fische fangen - egal wie groß - gibt Vertrauen und macht den Rest leichter. Dabei muss es ja kein Paylake sein, jeder kennt diese kleinen, gut besetzten Gewässer, wo man einfach Spaß haben kann. Gerade in den Anfangsjahren des Angelns wirkt so eine Session wahre Wunder.

19.06.2018 - Vollmond und PB

Eine kurze Nacht unter der Woche, an einer Stelle die ich zu dem Zeitpunkt schon seit 7-8 Wochen beangelte. Kurz nach 3 Uhr schrie die linke Rute, mein Zelt erstrahlte im Blau der Funkbox. Nach einem Drill bei Mondschein und einem Krebs, der meinen Zeh als ernstzunehmenden Gegner ansah, landete ein kurzer kompakter Spielger im Netz. Einer dieser Fische, die erst beim Anheben ihre wahre Größe offenbaren: 34 Pfund. Viele werden jetzt wahrscheinlich grinsen. Eine Größe, die bei manchen Leuten im Wasser abgehakt wird, aber für mich war das der Hammer. Ich habe so einen Fisch gefangen, einfach so. Dies war der Fisch, der in diesem Moment meine ganze Vorgehensweise untermauerte und mir extrem viel Selbstvertrauen gab. An dieser Stelle möchte ich über Perspektive reden, meine Sicht auf mein Angeln und die Sicht zweieinhalb Jahre später. Inzwischen sind mehr Fische dieser Gewichtsklasse auf meiner Matte gelandet und ich freue mich jedes Mal riesig.

Allerdings merke ich, dass es natürlich nicht mehr das Selbe ist. Ich frage mich dann oft, wie es für Leute ist, die mit einer Regelmäßigkeit Fische über bestimmten Gewichtsklassen fangen. Wann hören wir auf, uns ehrlich über Fische zu freuen oder noch schlimmer, wann verlieren wir sogar den Respekt? Diese Frage kann ich an dieser Stelle auch nicht beantworten, aber ich finde, wir sollten uns öfter hinterfragen und die Verschiebung der Wahrnehmung, auch durch Medien, nicht einfach hinnehmen.

27.07.2018 - Zufall

Seit dem PB bei Vollmond hatte ich geblankt. Acht Nächte in Folge an einem sehr gut besetzten See. Woran lag es? War es das konstant heiße Wetter in diesem Jahr oder stellte ich mich einfach nur dämlich an, wahrscheinlich eher Zweiteres. Um 17 Uhr war die Arbeit vorbei und es ging wieder zum See. Der wohlbekannte „Stammplatz" war besetzt und auch meine Wahl zwei, drei und vier waren belegt. Kurzentschlossen fuhr ich zu einem Platz, den ich vorher nie befischt hatte und über den ich nahezu nichts wusste. Mir war bekannt, dass dort regelmäßig gut gefangen wurde, aber mich hatte der Platz nie gereizt. Um ehrlich zu sein, rechnete ich mit einem Blank, trotzdem wurde alles akkurat fertig gemacht und dann ging es schnell zum Kochen in den Schatten. Netflix an, Nudeln in den Topf und entspannen. Wenn schon Blanken dann aber bitte entspannt, war meine Einstellung zu dem Zeitpunkt. Das Essen war fast fertig, da pfiff die Rute ab; Karpfen haben für sowas einfach ein Gespür.

Nach dem Aufnehmen der Rute zog der Fisch direkt auf eine der Bojen zu und stoppte erst kurz davor, durch meine Hand, welche die Spule blockierte. Dass ein Karpfen dran hing war sofort klar, nach 10 Minuten Drill war ebenfalls sicher, dass dieser gar nicht mal so klein zu sein schien. An der steil abfallenden Uferkante nahm der Fisch immer und immer wieder Schnur von der Rolle. Der Drill zog sich unerträglich lang. Die ganze Zeit hoffte ich, dass der 7er Widegape guten Halt gefunden hatte und nicht doch noch beschloss, auszuschlitzen. Inzwischen war mein Vater für einen kleinen Besuch da und war, nach weiteren 25 Minuten Drill, mindestens genauso nervös wie ich. Kurz vorm Kescher kam der Fisch das erste Mal in Sichtweite und ließ sich zum Glück auch direkt in ebendiesen dirigieren. Dieser graue Koloss brauchte kein Anheben des Netzes, bei so einem breiten Kreuz und fast einem Meter Länge. Unfassbar, was da gerade passiert war. Der größte Spiegler im See lag in meinem Kescher, während die Sonne gleißend orange unterging. Meine Freude war - und ist - riesengroß und es wird immer ein ganz besonderer Moment bleiben. Besonders, weil ich ihn mit meinem Vater teilen konnte. Aber was bleibt auf der anglerischen Ebene hängen? Geangelt hatte ich wie bei den acht Blanks zuvor und die Platzwahl war Zufall. Angeln ist eben auch Glück und das ist gut so. Wenn wir alles planen könnten, wäre es wahrscheinlich sehr langweilig. Wir sollten uns nur nicht auf solchen Fängen „ausruhen" oder denken, dass ein einzelner Fang ein Taktik bestätigt.

21.06.2019 - Rückschläge

Ein Sprung fast 11 Monate weiter an einen neuen See. In der Zwischenzeit hatte ich, in meinem gewohnten Muster, weiter geangelt. Bis auf eine angehende Blutvergiftung, die einen gut laufenden Angelurlaub nach nur drei Nächten beendete, war nichts Besonderes passiert. Mein Rhythmus des Angelns funktionierte gut und brachte regelmäßig Fisch, auch wenn nach meinem Auszug aus dem Elternhaus die Zeitfenster immer kleiner wurden. Trotzdem kippte bei mir die Stimmung. Druck auf der Arbeit sollte beim Angeln abgebaut werden, aber wenn der Kopf auch beim Angeln nicht mehr frei wird, beginnt es zu bröckeln. Bemerkt habe ich das an einem langen Wochenende, einem der ganz Wenigen die ich bis heute an den Seen verbrachte, weil mir dann meistens eh zu viel Betrieb ist. Gefangen habe ich. Bei Gewitter auf einer Sandbank lief ein Fisch nach dem anderem. Als durchnässter „Unterhosenmann" konnte ich einige schöne Fische in die Kamera halten. Eigentlich hätte ich super drauf sein müssen. Doch es war anders, ich hatte kaum Motivation, meine Ruten fertig zu machen oder nachzufüttern und nach einer von drei Nächten brach ich ab.

Ich wollte einfach nicht mehr, die ganze Negativität des Alltags projizierte sich auch auf das Angeln. Nach dieser Nacht beendete ich meinen Rhythmus. Einen Monat angelte ich sogar gar nicht und wurde den, selbst erschaffenen, Druck wieder los. Seit dieser Erfahrung hat sich meine Angelei wieder einmal verändert, sie ist viel flexibler und spontaner geworden. Vorgefüttert habe ich aufgrund von Verboten sowieso nie, aber auch meine Nächte hatten keinen Rhythmus mehr und wurden durch Sessions von 2-3 Stunden mit einer Rute ergänzt. Fische suchen stand nun auf der Agenda. Auch wenn man sie nicht immer sieht, lässt sich durch Wind und Wetter oft abschätzen, wo die Karpfen sich aufhalten könnten. In Kombination mit 2-4 Kurzsessions die Woche können viele verschiedene Seeteile angetestet - und wenn der Fisch da ist - in kurzer Zeit tolle Erfolge erzielt werden. Der Aufwand bleibt gering, eine Rute und minimales Tackle sind immer im Auto verstaut, sorgen für die nötige Flexibilität, um so auch kurze Zeitfenster ausnutzen zu können. Auch wenn ein System zu funktionieren scheint, muss man sich irgendwann zwangsläufig fragen, ob es denn auch zum Leben passt. Mir ist Flexibilität wichtig, ich will nicht von Freitag bis Sonntag an einem Platz sitzen und das jede Woche. Natürlich wäre das entspannter und vielleicht sogar erfolgreicher, es passt nur absolut nicht in mein Leben. Soll unsere Angelei das Leben bestimmen oder unser Leben unsere Angelei?

07.07.2020 - Alter See & neue Erkenntnisse

Die letzten beiden Jahre lassen sich recht klar unterteilen, ein See pro Jahr. Dieses Jahr steht nichts Neues auf dem Plan, schließlich habe ich in beiden Seen kaum Fische gefangen und noch viel zu entdecken. Nach fast einem Jahr Pause ging es wieder an den See aus dem Jahre 2018. Diesen hatte ich mit wenig Futter, bestehend aus großen Fischmehl Boilies, beangelt, um in den Nächten nicht zu viele Brassen zu fangen. Überzeugt von dieser Theorie, wechselte ich sie das ganze Jahr nicht und fing wenige Fische, diese dafür mit einem überdurchschnittlich hohen Gewicht. Durch neue Ideen und Erkenntnisse aus dem anderen See und dem Internet wollte ich etwas Neues probieren. Dosenmais, Mikropellets, Boilieteig und dazu nur ein paar gut geflavourte Boilies. Dazu kleine Pop-Ups als Hakenköder. Eine nahezu 180 Grad Drehung zur vorherigen Taktik. Die erste Nacht war Chaos pur: Netze beim Trocknen zu Hause vergessen, Essen noch im Kühlschrank und Stau auf der Landstraße. Viel später als geplant und mit ein paar extra Kilometern auf dem Tacho, war ich endlich am Platz angekommen und die Ruhe zum Glück wieder da.

Die gute Beißphase zwischen 18 und 19 Uhr hatte ich durch meine Unorganisiertheit schon verpasst und die Hoffnung auf einen Karpfen war etwas eingedellt. Um 21 Uhr fing meine rechte Rute an, brassentypische Geräusche von sich zu geben. Beim Drill wurde schnell klar, dass es ein anderer Plagegeist war. Der ca. 140cm lange Stör gab richtig Gas und nahm brutal immer wieder viel Schnur. Endlich auf der Matte und abgehakt, ging es sofort zurück ins Wasser, wo das alte Tier trotzdem etwas Starthilfe brauchte. Während ich noch im Wasser stand, lief die linke Rute ab. Mit einer Hand den Stör stützend und mit der anderen Hand den Lauf stoppend begann der Drill, zu dessen Ende ein guter Spiegler in die Maschen schwamm. Erstmal wieder eine Rute aufs Futter kriegen und dann zur Fotosession mit dem Selbstauslöser. Ich genoss es, schon vor dem Dunkelwerden mein Ziel für die Nacht erreicht zu haben. In der Nacht kamen dann erstmal ein weiterer Stör und zwei Brassen dazu, jedes Mal wieder aufstehen, Ruten neu legen und neues Futter einbringen. Entspannung sieht anders aus. Früher war ich dafür schnell zu genervt und habe unsauber gearbeitet, das hat sich geändert und so wurde ich um 4 Uhr mit einem kampfstarken Milchner belohnt. Beim Einpacken um 5:30 Uhr meldete sich dieselbe Rute wieder, mit einer weiteren Brasse. Diesmal war keine Zeit mehr für sauberes Ablegen, die Rute schnell wieder in Richtung Futter geworfen und das Tackle weiter auf den Trolley gestapelt.

Um kurz vor 6 Uhr waren nur noch die Ruten im Wasser und gerade als ich diese einkurbeln wollte, lief die eben geworfene Rute schon wieder. An solchen Tagen tut es wirklich weh, wenn man zur Arbeit fahren muss. Aus dieser einen Nacht darf man natürlich nicht zu viele Schlüsse ziehen, aber einen auf jeden Fall: Man sollte, auch wenn eine Taktik zu funktionieren scheint, nie zu 100% davon ausgehen, dass es wirklich die Effektivste ist. Ich habe mehr gefangen als in jeder Nacht an diesem See zuvor und der Durchschnitt war ebenfalls nicht schlechter. Fängt man nun deswegen oder einfach trotzdem? Eine Frage, die mir vor Kurzem gestellt wurde und auf die ich, in diesem Moment, auch keine Antwort hätte. Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text wirklich schreiben und mit jemandem teilen möchte. Schließlich bin ich niemand, der wirklich Tipps übers Angeln an sich geben könnte die ich nicht selber irgendwo aufgeschnappt habe. Allerdings denke ich, dass die Perspektive die Anfänger wie ich haben, auch erfahrenen Anglern helfen kann. Denn mit den Jahren stellen wir Glaubenssätze über viele Dinge auf und je erfolgreicher wir damit sind, desto weniger hinterfragen wir diese.

Aber sind wir denn nun deswegen erfolgreich oder eben nur trotzdem? Und ist absolut gesehener Erfolg der Weg, der uns am Ende glücklich macht? Denn für die meisten von uns ist Angeln ein Hobby und ein Hobby sollte kein ständiger Wettkampf mit anderen sein.

Viele Grüße vom Niederrhein

Jonathan Gribs

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