Es ist der Fluss, der mich wie kein anderer in seinen Bann zieht. Es ist der Fluss, an dem ich das Angeln erlernt habe. Es ist der Fluss der einstigen Rekordfische. Etwa 450 Kilometer schlängelt sich die Weser von Hann. Münden, wo sie aus Werra und Fulda entsteht, durch den Norden, bis sie bei Bremerhaven in die Nordsee fließt. Für mich ist sie Faszination und Mythos zugleich. Ich ziehe den Hut vor jedem, der diese launische Dame durchschaut hat. Immer wenn man denkt, man hat sie durchschaut, verändert sie sich wieder. Einige Erfahrungen konnte ich jedoch über die Jahre an der Weser machen und genau diese möchte ich hier mit euch teilen!
Eine wichtige Erfahrung, welche sich mir immer wieder am großen Bach bestätigt hat, ist, dass sich effektives Angeln auf der „Strecke“ erst nach der Laichzeit, beziehungsweise ab dem Spätsommer lohnt. Im Frühjahr sammeln sich die Flussnomaden häufig an bestimmten Stellen. Dies können diverse Verbindungsgewässer, wie beispielsweise Häfen, Kanäle oder angrenzende Baggerseen sein. Meiner Erfahrung nach, werden manche Winter- und Frühjahrsplätze immer wieder angeschwommen, andere wiederum nur bei bestimmten Wasserständen oder Witterungsbedingungen. So kann bei einem Hochwasser im Mai auch mal ein kleiner, sonst nicht einmal einen Meter tiefer Altarm zur Sammelstelle von richtig großen Karpfen werden. Verbindungsgewässer wie zuvor genannt werden jedoch relativ sicher jedes Frühjahr erneut angeschwommen. Im Umkehrschluss heißt das Folgendes: wenn man die Fische im Frühjahr am Fluss nicht findet, fängt man sie auch nicht. Ich habe nicht nur einmal bei absolut besten äußerlichen Bedingungen auf einem gut vorbereiteten Futterplatz gesessen und nichts gefangen.
Ich konnte mir dieses Phänomen zuerst nicht wirklich erklären, jetzt weiß ich jedoch, dass die Fische einfach nicht da waren. Im Allgemeinen lässt sich also festhalten, dass ein gut gepflegter Futterplatz auch im großen Bach eine sehr gute Methode ist, um an den Fisch zu kommen. Dennoch versagt auch dieser, wenn vor der Laichzeit die Fische einfach nicht auf der Strecke sind. Aus diesem Grund konzentriere ich mich in meiner Weserangelei meistens auf die Monate September, Oktober und November. Dort setze ich dann immer auf gut vorbereitete Futterplätze an eigentlich recht unscheinbaren Plätzen. Innerhalb der erwähnten Monate sind die Karpfen meiner Meinung nach sehr viel auf der offenen Weserstrecke unterwegs. Sie legen dabei oftmals recht große Strecken zurück, kehren aber auch häufig auf einen gut laufenden Futterplatz zurück.
Auch im Jahr 2020 stand der große Bach, wie die Weser umgangssprachlich bezeichnet wird, natürlich wieder auf meiner Liste. Das Frühjahr verbrachte ich zunächst an diversen Baggerseen. Hier setzte ich ebenfalls auf gut vorbereitete Plätze, welche ich fast ausschließlich in Kurzsessions befischte. Mehr füttern als angeln und wenn angeln, dann mit auffälligen Pop-Ups hieß die Devise. Genauer beschrieben ist die Taktik an den Baggerseen ebenfalls hier auf Carpzilla in meinem Bericht „Farbenspiele“. Dennoch kam der Sommer auch in diesem Jahr sehr zügig. Bis Mitte September saß ich an verschiedenen Baggerseen und fing sehr gut. Ich war so sehr im Flow was die Baggerseenangelei anging, dass ich dabei fast zu lange mein großes Vorhaben vergaß, in diesem Jahr mal früher mit dem Angeln an der Weser zu beginnen. Jeder Ansitz am Baggersee war für mich eine Bestätigung meiner Taktik und es fühlte sich einfach zu gut an, um dort aufzuhören.
Schließlich zwang ich mich fast dazu, an Fluss zu fahren, Stellen, welche ich bereits aus den Jahren zuvor kannte, anzusehen und das große Füttern zu beginnen. Dieses Mal aktivierte ich die ausgewählte Stelle mit einem großen Eimer voll Mais und etwa fünf Kilogramm Boilies. Dies wiederholte ich jeden zweiten Tag etwa zwei Wochen lang. Die erste Session plante ich mit einem sehr guten Freund. Dieser musste für sein Masterstudium mehrere Monate ins Ausland und als letzte gemeinsame Session wollten wir vier Nächte am Wasser verbringen. Eine am Baggersee und gleich drei an der neuen Weserstelle. Uns erwarteten eher schlechte Bedingungen; gestiegener Luftdruck und Nordostwind sollten die Sache nicht gerade einfacher machen. Dennoch ließ uns die vorbereitete Stelle am Baggersee nicht im Stich: wir fingen einige richtig schöne Fische und zogen nach dieser ereignisreichen Nacht an die Weser um. Dort angekommen stieg der Luftdruck noch einmal erheblich. Der zuerst starke Nordostwind ließ nach und es wurde richtig warm. Wir gingen mit gemischten Gefühlen in die Nacht und fachsimpelten noch sehr lange über den großen Fluss und was passieren würde, wenn uns ein Rudel hungriger Flussmonster heimsuchen würde.
Um etwa 4:30 Uhr war es dann soweit, Dauerton! Der Fisch am anderen Ende riss wild Schnur von der Rolle und schoss vor der Steinpackung entlang. Leider merkte ich dabei bereits, was ich da gehakt hatte. Große Barben gibt es in der Weser viele. Sie ziehen oftmals in großen Schwärmen und wenn man eine fängt, fängt man oft auch noch einige weitere. Um die Abschlusssession mit meinem guten Freund Steffen abzukürzen: wir fingen in den verbleibenden zwei Nächten noch schätzungsweise 5 oder 6 richtig große Barben. Gerade in der letzten Nacht überrannten uns die großen Weißfische beinahe. Dennoch waren wir natürlich enttäuscht. All das Futter und wir konnten nicht einen kleinen Karpfen vorweisen. Nach dem Angeln beschloss ich dennoch, die Stelle weiter zu füttern und es an einem vermeintlich besseren Wochenende nochmal zu versuchen. Genauer gesagt, wollte ich mindestens eine Nacht am nächsten Wochenende an der Weser verbringen.
Innerhalb der Woche bereitete ich den Platz wieder jeden zweiten Tag vor. Ich verzichtete dieses Mal auf große Mengen gekochten Mais und fütterte hauptsächlich Boilies in 20 und 25 Millimetern Durchmesser. Bereits bei der Session mit meinem Kumpel Steffen fiel uns auf, dass Fischmehlboilies besonders aggressiv von den Grundeln im Fluss angegriffen werden. Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein absolut überzeugter Fischboilie – Angler bin. Bereits das gesamte Jahr 2020 setze ich innerhalb meiner Baggerseenangelei auf nur drei verschiedene Boilies, nämlich den NG-Squid, den V-Activator und den Crayfish der Firma Proline. Alles Köder auf Fischmehlbasis, welche die Fische definitiv über einen langen Zeitraum fressen. An der Weser begann ich zunächst mit dem V-Activator, merkte aber recht schnell, dass ich noch einen weiteren, für Grundeln nicht so attraktiven Köder füttern musste. Ich nahm mir also vor, diverse andere Köder auszuprobieren. Zur Not müsse der gute alte Hartmais eben wieder herhalten. Zu Hause in meinem Angelkeller fielen mir dann aber doch noch 5 Kilo Nutrition-Boilies in die Hände. Dieser Nussboilie ist auf Basis von Kartoffelmehlen abgerollt und machte mir Hoffnungen, dass die Grundeln ihn in Ruhe lassen würden.
Am Freitagmittag direkt nach Feierabend - das Auto war bereits gepackt - fuhr ich direkt zur Weser. Das Wetter passte! Es wehte ein starker Wind und der Luftdruck stand auf einem guten Normalwert. Als ich mein Auto am Deich parkte und meinen Trolley belud, war es da! Ich hatte dieses Mal ein echt gutes Gefühl. Wenn es heute wieder nicht klappt, gehe ich zurück zu meinen Baggerlöchern dachte ich mir, als ich den Trolley über die Wiese schob. Meine Freundin begleitete mich bei dieser Session am großen Bach. Schnell war alles aufgebaut und schon nach kurzer Zeit war klar, dass ich ab sofort immer ein paar Hände Boilies ohne Fischmehl dazu füttern würde. Die Grundeln ließen den Köder fast vollständig in Ruhe. Die Ruten wurden also noch einmal für die Nacht genau an die ausgewählte Kante gelegt und das Warten konnte beginnen. Gegen Abend begannen die recht steil gestellten Ruten zu wackeln, Fisch war also am Platz. Den ersten Dauerton gab es aber wieder erst in der Nacht. Wieder eine kampfstarke, richtig große Barbe. Etwas für die Blinker Hitparade dachte ich noch… Die Rute war schnell wieder montiert und im Rennen. Ich trocknete meine Hände und legte mich wieder auf meine Liege in den Schlafsack. Genau in diesem Moment riss wieder ein Fisch Schnur von der gleichen Rolle. Ich lief zur Rute, schlug an und merkte einen recht schweren Widerstand, der aber bereitwillig dahin steuerte, wo ich wollte. Ich staunte nicht schlecht, als nach wenigen Sekunden Drill ein guter Schuppi im Kescher lag.
So kannte ich die Flusskarpfen nicht. Wer schon einmal in einem Fluss einen Karpfen gefangen hat, wird mir sicher zustimmen. Die Karpfen sind oft unfassbar stark und setzen die Strömung für sich ein. Dieser war scheinbar ein eher gemütlicher Zeitgenosse. Dennoch war ich absolut happy und freute mich, dass ich endlich belohnt wurde. Die Rute wurde natürlich schnellstmöglich wieder an ihren Platz geworfen. Vor dem ersten vorbeifahrenden Schiff, welches die Bissanzeiger kurz aufleuchten ließ, sollten wir jedoch nicht mehr aufwachen. Die Freude über den guten Dreißiger der letzten Nacht war noch da, dennoch war ich auch ein bisschen irritiert. War es möglich, dass der eine nur Zufall war? Komisch! Wir legten uns noch etwas aufs Ohr und es war bereits hell, so gegen acht Uhr, als eine weitere Rute kreisrund auf dem Bankstick lag. Dieser Fisch schoss direkt mit voller Macht auf die andere Seite der Weser (diese ist am Spot etwa 100 Meter breit). Und nun folgte ein Drill, wie ich ihn vom Fluss kannte. Nach einigen harten Fluchten kam ein Wildkarpfen-Schuppi zum Vorschein. Über 90 cm lang, aber gerade einmal zehn Kilo schwer. Egal! Im Fluss zählt jeder doppelt oder sogar noch mehr?
Jetzt war mein Feuer geweckt, das Feuer, welches sich bei mir schon so oft für dieses Gewässer entfacht hat. Die nächste Woche über fuhr ich mit einer absoluten Selbstsicherheit zum Füttern. Ich wusste einfach, da geht noch was! Ich blieb meiner Taktik treu und versenkte jeden zweiten Tag fünf Kilogramm Boilies in den Fluten, achtete aber auch immer darauf, einen gewissen Anteil an Nutrition-Boilies (ohne Fischmehl) zu füttern. Am folgenden Wochenende sollte es dann wieder losgehen. Eine Nacht hatte ich Zeit, meine Freundin war wieder an meiner Seite. Sie begleitet mich sehr oft zum Karpfenangeln und kennt schon seit längerem den Stellenwert, den ein Weserkarpfen bei mir hat. Die Ruten lagen wieder schnell an den gewohnten Plätzen. Recht lange Vorfächer ohne viel Schnick-Schnack wurden eingehängt, dickdrahtige Haken mit nach innen gebogener Spitze sind Pflicht! Nachts bei jedem Weißfisch den Haken austauschen möchte niemand.
Wir mussten warten, bis es dunkel war. Die Rolle der mittleren Rute fing ohne Vorwarnung an Massen an Schnur freizugeben. Ich spurtete aus dem Zelt, nahm die Rute auf und der Spaß begann. Der Fisch zog langsam auf die andere Uferseite. Ich merkte direkt, dass es ein guter Fisch sein könnte. Er stand zum Schluss starr vor der Steinpackung und ich konnte ihn kaum vom Grund lösen. Irgendwann gelang es mir jedoch… und als ich diesen Fisch sah, hallte mein Freudenschrei sicher ein paar Weserkilometer weit. Ein richtig dicker Schuppenkarpfen lag im Kescher. Größer als jeder Fisch, den ich bis dahin in der Weser fing – das war mir sofort klar. Ich wiege nur besondere Fische, bei diesem war es aber keine Frage. Die Waage blieb bei guten 23 Kilogramm stehen. Der Wahnsinn! Ich hatte also meinen neuen Weser – PB gefangen. Die Freude darüber kann ich kaum in Worte fassen. Als dann, etwa drei Stunden später, die gleiche Rute nochmal abfeuerte und nach heftigem Drill ein weiteres Flussunikat auf der Matte lag, war diese Nacht am großen Bach schon fast surreal für mich. Im Morgengrauen fingen wir noch eine dicke Barbe, danach packten wir unsere Sachen zusammen und ich schob den Trolley zurück über die nasse Weserwiese. Irgendwie fiel es mir heute besonders leicht.
Angeln am Fluss ist für mich mit der puren Ungewissheit verbunden und wird mich wohl für immer faszinieren. Karpfenangeln am Strom ist einfach so facettenreich und spannend, wer es noch nicht probiert hat sollte dies unbedingt tun! Ich selbst werde es im Winter eventuell nochmal an einigen Verbindungsgewässern in meiner Nähe probieren. Gegebenenfalls ein neues Projekt für einen weiteren Artikel. We shall see…
Tight Lines!
Christian