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Reif für die Insel / 18.06.2020

REIF FÜR DIE INSEL - Up North

Ein leichter Nieselregen besprenkelt sanft das still daliegende Wasser des großen Hafens. Es ist früh am Morgen, noch bevor das Blau das Grau der Nacht ablöst und den kommenden Tag erahnen lässt. Leise surrt immer wieder meine Rolle, wenn der Kontrahent am anderen Ende der Schnur zu einer erneuten Flucht ansetzt. Immer wieder muss ich ihn durch große Krautbänke pumpen, mit zitternden Knien, denn es hat ganze drei Nächte gedauert, bis ich wieder einen Biss bekommen sollte. Direkt in der ersten Nacht riss mir ein Karpfen unbarmherzig Schnur von der Rolle und befreite sich im dicht wachsenden Kraut. Genau dieses Szenario rauscht mir auch jetzt durch den Kopf, mit gebogener Rute in der Hand und keiner vernehmbaren Bewegung mehr am anderen Ende. Nur regnen tut es nach wie vor, sanft und stetig wie auch schon die vergangenen sechs Wochen.

Ja, einige Wochen sind mittlerweile vergangen, seit dieser magischen Nacht am kleinen Flüsschen in Südengland. Jetzt stehe ich im Herzen Manchesters, einige hundert Kilometer nördlich, bei weniger als 20 Grad und blicke auf eine Zeit voller Abenteuer, neuer Freundschaften und konstantem Regen zurück. Im Süden verspürte ich einen ungeheuren Drang nach Klettern und wilder Natur. Diesem ließ ich auch fortan freien Lauf, tourte durch das gesamte Wales, traf meinen Vater in Manchester und ging auch mit ihm 14 Tage im Norden Englands klettern. 

Aber auch angeln war ich in dieser Zeit. Genau gesagt ab dem Zeitpunkt, als mir ein neu gewonnener Freund in Nordwales von einem kleinen See, still in einem Wald aus Rhododendron gelegen, erzählte. Nach Wochen des Kletterns war ich wieder unglaublich heiß aufs Angeln und verlor keine Minute diesen See aufzusuchen. Im Vorfeld erzählte mir Sam, so hieß der kletternde Angler, dass es nur zwei Spiegler im See gäbe, begleitet von vielen Schuppenkarpfen. Doch eines hätten sie alle gemeinsam: Sie alle seien unglaublich alt. Eine Nacht später wälzte sich tatsächlich einer der Spiegler im Kescher und ließ meine Motivation förmlich explodieren. 

Als ich anfing im Norden Englands an öffentlichen Gewässern Karpfen zu jagen wusste ich nicht recht was mich erwarten würde. Daher hatte ich auch keinerlei konkreten Erwartungen. Mir wurden jedoch schnell das Potential und die Besonderheit der Gewässer bewusst. Noch bevor ich den ersten Karpfen fing, stachen mir unzählige alte Häfen und Kanäle ins Auge. Eingemauert in altem Sandstein, durch ruhige, ländliche Gegenden verlaufend oder mitten in die großen Städten einbetoniert. Zwar dienen sie kaum noch dem Lastentransport, doch begegnete ich einer großen Zahl an Menschen, die tatsächlich im Boot auf diesen Kanälen leben. Oftmals schien es sogar fast so, als wären diese Menschen mindestens genauso alt wie das Wasser unter dem Kiel ihrer Boote.

Verstärkt wird dieser rustikale Flair von herunter gekommenen Lagerhallen entlang der Gewässer. Eingestürzte Dächer, aus den Angeln gerissene Türen oder auch versunkene Boote sind keineswegs eine Seltenheit. Vieles davon wurde von jungen Architekten neu interpretiert, aufbereitet und ausgebaut und funktioniert nun als Café, Pub oder Club. Diese Synthese aus alter und moderner Bausubstanz wie Stahl und Glas besitzt einen ganz eigenen Charme. Solch eine Umgebung hatte ich bis dato wahrhaftig noch nicht gesehen und sie inspirierte mich ungemein.

Das Erscheinungsbild im Norden und auch im Rest Englands hat einen Hintergrund. In der Zeit der Industrialisierung war England weltweit auf dem Vormarsch. Dementsprechend wurden viele Kanäle und Häfen gebaut, um als Transportwege und Umschlagplätze für diverse Waren zu dienen. Diese Wasserstraßen bestehen noch heute, wenngleich sie natürlich nicht mehr in gleichem Maße genutzt werden. Dafür bilden sie mittlerweile extrem interessante Angelreviere mit einer ganz besonderen Bandbreite an Fischen. Natürlich wurde über die Jahre auch besetzt, doch beherbergt jeder dieser Kanäle und Häfen einen sehr alten Bestand an Karpfen. Vom urigen Schuppenkarpfen zum wild beschuppten und unförmigen Spiegelkarpfen traf ich hier alles an. 

Wie auch in Holland war ich aufs Neue überrascht, vergleichsweise wenig Karpfenangler anzutreffen. Anscheinend findet ein Großteil der englischen Angler mehr Gefallen daran, an den vielen Paylakes, überbesetzt mit schnellwachsenden, deutschen Zuchtkarpfen, zu angeln. Mir lag das natürlich fremd und so konnte ich umso mehr das Angeln an diesen magischen Gewässern genießen. Jene Engländer, welche diese Auffassung mit mir teilten, lernte ich als extrem offene und freundliche Menschen kennen. Es ist nur naheliegend euch eine dieser Begegnungen zu schildern.

Verzweifelt fuhr ich schon seit Stunden mit meinem Opel rund um die Metropolregion Manchester. Wenige Stellen fand ich ansprechend, nirgends sah ich überhaupt keinen Karpfen. In einem großen Verkehrskreisel, etwas außerhalb der Metropole, drehte ich eine Ehrenrunde, denn ich hatte die richtige Ausfahrt verpasst. Plötzlich überholte mich ein weißer Sprinter, wurde neben mir langsamer und ein freundlich drein blickender Geselle in Malerkleidung winkte mir zu, machte Bewegungen welche unmissverständlich auf das Angeln hindeuteten. Er gab mir schnell zu verstehen ich solle ihm folgen, denn er wolle mir etwas zeigen. 

Auf einem Parkplatz in der Nähe hielt er an und stellte sich als Jonathan vor. Auch er sei Karpfenangler und kombinierte, als er mich mit ausländischem Kennzeichen und Angelruten im Kofferraum sah, dass ich ein reisender Angler sein müsse. Unglaublich herzlich fragte er mich aus, wie es denn dazu käme, dass ich ausgerechnet hierher zum Angeln reiste.

„Nun, ich komme aus Deutschland und bereise England, um auf Karpfen zu angeln und das Land kennenzulernen. England übte schon immer einen Reiz auf mich aus.“ antwortete ich ihm.

„Oh Dude! Wirklich jetzt? So etwas habe ich noch nie gesehen. Alle fahren immer nach Frankreich. Aber dass einer von euch mal zu uns kommt, das ist ja wirklich der Hammer! Komm, ich zeige dir ein paar Stellen die wirklich interessant sind. Da fängst du bestimmt einen“

Er hielt sein Versprechen, zeigte mir in seiner verregneten Mittagspause einige Spots an denen ich tatsächlich auch zum Erfolg kommen sollte. Solche Begegnungen lassen mir das Herz aufgehen und zeigen mir, wie wir Angler uns zueinander verhalten könnten. Denn dass solche Gesten tatsächlich stattfinden, passiert meines Erachtens leider viel zu selten.

Vielleicht ist es euch Lesern schon aufgefallen, wie häufig ich von Regen spreche. Ich will beileibe keine Klischees untermauern doch ich komme nicht umhin zu bemerken, dass es tatsächlich fast ununterbrochen regnete. Es wäre nicht richtig, würde man sagen, das Wetter im Norden wäre per se schlecht. Doch ist es unbestreitbar, dass hier ein gänzlich anderes Klima herrscht. Im Sommer hat es durchschnittlich um die 15 Grad, regnet und ist windig. Nicht gerade das Urlaubsziel aus dem Bilderbuch. Dieses Wetter hat natürlich auch Auswirkungen auf das Wachstum der Karpfen. Vor allem in den öffentlichen Gewässern, in denen die Fische lediglich durch natürliche Nahrung heranwachsen. In meiner Heimat gelten Karpfen mit 20 Kilo als groß, hier sind es Fische mit 20 Pfund. Ein Dreißiger ist dann schon ein richtiger Ausreißer.

Als ich mir diesem völlig anderen Größenverhältnis bewusst wurde, entwickelte ich einen ganz anderen Blickwinkel auf Fischgrößen und freute mich wie ein Schneekönig über Fische, sei es mit 8, 11 oder 13 Kilo.

Dieser Gedanke schoss mir auch an jenem frühen Morgen durch den Kopf. Ich hatte es geschafft den Krautberg, in dem der Karpfen festhängen musste, zu lösen und Stück für Stück an mein Ufer zu Pumpen. Im Schein der Kopflampe konnte ich nicht viel mehr als Kraut erkennen, doch nach genauerem Betrachten sah ich eine kleine Schwanzflosse am Ende des Ballen wedeln. Kurz war ich enttäuscht, denn es musste sich doch zweifellos um einen Satzkarpfen handeln. Größer als zehn Kilo würde er mit Sicherheit nicht sein. Dann kamen mir wieder meine Erfahrungen in den Kopf und blitzschnell wich die Enttäuschung einer zunehmenden Nervosität. Satzkarpfen? Quatsch mit Soße! Egal wie groß er sein mochte, wenn ich diesen Karpfen landen könnte wäre es einer der bedeutendsten Fänge der Zeit. Dieser mitten in der Millionenstadt gelegene Hafen ist 120 Hektar groß, tief und mit kristallklarem Wasser gefüllt. Zudem ist der Bestand an Karpfen alles andere als berauschend. Dieser Fisch musste unbedingt in den Kescher. 

Doch der große Krautballen direkt vor dem Vorfach, mittlerweile hatte sich das restliche Kraut gelöst, ließ meine Knie schlottern. Zu oft schon waren mir Fische genau in solch einer Situation geschlitzt. Ein Schlag mit dem Kopf, keine Dehnung durch die Trägheit des Krautes und des geflochtenen Vorfachs, der Albtraum wäre perfekt. Kaum dachte ich daran, den Kescher hatte ich mittlerweile zur Hälfte unter das Kraut-Fisch Paket geschoben, passierte es:

Der Fisch schlug mit dem Kopf und schlitze aus!

Und schwamm in den Kescher.

An diesem Morgen brach endlich die Sonne durch die Wolkendecke und es zog mich zurück in den Süden. „Up North“ war mehr als gütig zu mir gewesen und mit einem dicken Lächeln zog ich weiter. Die Wegweiser sollten fortan wieder in Richtung Heimat deuten. Doch war das Abenteuer noch lange nicht vorbei, denn eine der größten Herausforderung lag noch vor mir. 

- London -

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