Langsam verschwinden die hellen Lichter von Dünkirchen. Ich stehe hoch oben auf dem Deck der Fähre, lasse meinen Blick über das Meer gleiten und spüre die kühle Brise durch meine Haare wehen. Aufgeregt suche ich den Horizont nach auftauchenden Lichtern ab, wie Kolumbus, als er erwartungsvoll nach neuem Land spähte. Regelmäßig klatschen große Wellen gegen die Bordwand des riesenhaften Bootes, doch ohne jegliche Wirkung. Der massive Stahlkahn schiebt sich unaufhaltsam und gleichgültig durch die grauen, kalten Wogen des Meeres. Wie muss es früher den Seemännern ergangen sein, angewiesen auf richtigen Wind und gutes Wetter, ohne jegliche Sicherheit jemals wiederzukehren? Mittlerweile scheint es jedoch als hätten wir sämtliche Kräfte der Natur uns unterworfen, stellt sich der Mensch mit seinem technischen Wissen doch geradezu als Gottheit dar. Ich zumindest kann mir sicher sein, in kaum einer Stunde das englische Festland zu betreten.
Neue Wege
In der Welt der Karpfenangler nimmt England durchaus eine hohe Stellung ein. Schließlich wurde hier das gezielte Angeln auf Karpfen maßgeblich entwickelt. Dementsprechend groß ist auch die Präsenz der Insel in den Medien. Doch spielt sich die gezeigte Angelei größtenteils an den unzähligen Paylakes und Syndikates ab. Man hört aber weniger über die öffentlich beangelbaren Gewässer des Landes, obwohl es daran durchaus nicht mangelt. Viele Kanäle, Häfen und Flüsse sind frei zugänglich, lediglich die „Rodlicence“ (gültig für ganz England) muss man dafür erwerben.
Reiseberichte von Karpfenanglern findet man unzählige, geht es um Länder wie Frankreich, Spanien oder Slowenien. Im Bezug auf England herrscht jedoch gähnende Leere. Von Niemandem hörte ich, der bereits einen richtigen Roadtrip durch UK unternahm. Sollte ich der erste mit diesem Vorhaben sein? Mein Plan war es, England als Reisender und somit aus verschiedenen Blickwinkeln heraus zu entdecken. Kaum beangelte Gewässern suchen, geschichtsträchtige Klettergebiete kennen lernen, in Kultur und Mentalität eintauchen und mir meinen eigenen Weg bahnen. Großartig darauf vorbereitet hatte ich mich zugegebenermaßen nicht wirklich. Vor allem offen für das sein, was da auf mich zukommen mag, war die Devise.
So vage diese Planung war, so waren auch meine ersten Tage in UK ohne spektakulären Inhalt. Gedankenverloren fuhr ich langsam auf den winzigen Landstraßen Südenglands dahin, pfiff Lieder vor mich hin und ließ mich treiben. Grob orientierte ich mich an einer Halbinsel tiefer im Süden, welche spektakuläre Klippen aufweist. In Holland war ich anglerisch voll auf meine Kosten gekommen. Nun galt es, etwas zurück zu schalten und so richtig in einen Reiseflow zu kommen. Meist stand ich relativ früh auf, machte mir ein Porridge oder Toast mit Peanutbutter und Banane zum Frühstück, trank die ersten Stunden einige Kaffee, bis ich mich eventuell danach fühlte spazieren zu gehen, ein bisschen zu trainieren oder weiter zu fahren. Für solch ein Lotterleben war ich hier in Südengland am perfekten Ort.
Friedlich erstreckt sich eine hügelige Landschaft entlang der zerklüfteten Küste. Mal dicht von Bäumen und Rhododendron bewachsen, dann wieder von Weideland und Blumenwiesen durchzogen, geziert von blühenden Ginsterbüschen, kaum Menschen trifft man hier an und wenn, dann lediglich in den winzigen Ortschaften, belebt von Bauern und Viehzüchtern. Deren zahllose Schafe und Lämmer grasen friedlich auf den Feldern, begleitet von Fasanen, welche mit schrillen Schreien auf sich aufmerksam machen. Alle paar Meilen durchschneiden kleine Flüsschen die Hügel und bilden anmutige Täler. Eines dieser Flüsschen, durch Zufall stieß ich darauf, sollte ein sehr besonderes Angelerlebnis für mich bereit halten.
„Leave nothing but Footsteps, take nothing but Memories“
Zur Mittagszeit, ich hatte bereits ausführlich gefrühstückt, hielt ich an einer Backsteinbrücke über einen Bach. Kaum fünf Meter breit und von Schilf gesäumt mäandert er auf das Meer zu. Zunächst dachte ich nicht im geringsten daran hier zu angeln. Ich bezweifelte, dass es hier überhaupt Karpfen gäbe. Doch der ganze Nachmittag lag noch vor mir und so beschloss ich, dem Flüsschen durch sumpfiges Weideland stromauf zu folgen. Nach einigen hundert Metern gelangte ich überraschend an ein Wehr, welches das Flüsschen aufstaute. Seerosen, Schilf und Kraut wuchsen hier. Als wäre dies nicht genug, erspähten meine Augen sofort einen Karpfen, der dicht unter der Oberfläche seine Bahnen zog. Natürlich kannte ich kein Halten mehr, sprintete zu meinem Opel und belud mich mit der nötigsten Ausrüstung. Zurück an der Stelle schnickte ich schnell zwei Ruten zwischen die Seerosen und wartete gespannt auf aufsteigende Blasen. Das dauerte auch nur einige Minuten, die Rutenspitze wurde brachial herumgerissen und wenig später lag mein erster englischer Karpfen auf der Matte.
Als die Sonne langsam hinter den Hügeln verschwand breitete ich meine Isomatte im hohen Gras aus, vesperte noch einen Bissen im Abendrot und ließ die einzigartige Atmosphäre auf mich wirken. Weit und breit war keine Menschenseele, keine Straße und kein Haus. Von Zeit zu Zeit hörte ich den Ruf eines Fasans. Mehrere Nachtigallen zwitscherten munter ihre Melodien. Als die Sonne hinter den Hügeln unterging, kam das gesamte Tal zur Ruhe, lediglich die Nachtigallen führten ihr Konzert bis früh am morgen fort. Gebannt lag ich noch lange wach, lauschte dem Gesang und wurde mir mehr und mehr der Abgeschiedenheit und Magie dieser Oase bewusst.
Im Morgengrauen wurde ich unsanft von meiner kreischenden Funkbox aus dem Schlaf gerissen. Dichter Nebel hing im Tal und das hohe Gras war klatschnass vom Tau. Glücklicherweise hatte ich mein Tarp mitgenommen, mein Daunenschlafsack wäre sonst bestimmt nicht trocken, geschweige denn warm geblieben.
Atemlos drillte ich einen wilden Schuppi, makellos und unvergleichlich kampfstark, das langsam fließende Wasser zu Schaum schlagend.
Zwei weitere Karpfen sollten ihm noch folgen, davon ein wilder, grauer Fully-Scaled, bei dem mir der Atem stockte. Es schien, als wäre ich tatsächlich so richtig in England angekommen.
Nach diesem einzigartigen Angelerlebnis war es an der Zeit, mich meinen anderen Interessen zu widmen. In England findet man viele spektakuläre Klettergebiete, welche dazu noch sehr geschichtsträchtig sind. Auf Portland, einer Halbinsel im Süden, verbrachte ich viele Tage bei strahlendem Sonnenschein, schloss viele neue Freundschaften und hatte unglaublichen Spaß beim Klettern. Hier sammelte ich einige der eindrücklichsten Erlebnisse der Reise. Vor allem die Zeit mit der Studentengruppe aus Oxford war einzigartig. Als Reisender wurde ich unglaublich herzlich aufgenommen, zu Fish `n Chips eingeladen und konnte natürlich viel mit ihnen klettern.
Angeln rückte in diesen Tagen immer mehr in den Hintergrund, doch das war auch gut so. Selten war ich so motiviert zu klettern. Einige Wochen später dafür, als ich das verregnete Wales mit einer Fingerverletzung hinter mir ließ, hätte meine Motivation angeln zu gehen nicht höher sein können. Schnell lernte ich, wie wichtig es doch ist, immer wieder Abwechslung in den Reisealltag einzubringen.
Nach Portland gelangte ich noch nach Bristol in einen großen Hafen. Drei Nächte verbrachte ich hier, hatte leider jedoch nur einen verlorenen Fisch zu verzeichnen. Umso mehr zog es mich weiter in den Norden Englands. Große, aufregende Städte und wilde Natur warteten dort auf mich. Doch was der Norden anglerisch zu bieten hat war noch nicht absehbar. Umso mehr Überraschungen erlebte ich in der Zeit dort. Denn von hektargroßen, glasklaren, blauschimmernden Hafenbecken, bis zum unscheinbaren, rustikalen und von eingebrochenen Lagerhallen gesäumten Kanal, manch eine Überraschungen beherbergend, sollte alles auf mich zukommen. So etwas habt ihr in Deutschland noch nicht gesehen !!! Fortsetzung folgt.