Auf der Suche nach einem ausdrucksstarken Titel für diese Kolumne kam mir eines Morgens der Fliegende Holländer in den Kopf. Natürlich stellt sich die Frage, wie die Sage um einen verfluchten und rastlosen Kapitän, welcher in keinen Hafen einlaufen kann, mit meiner Zeit in Holland zusammenhängen mag. Folgendermaßen will ich es euch erklären: In Holland steht man vor einer großen Herausforderung: kostenloses Parken Fehlanzeige! Besonders in den städtischen Gefilden führte das zu einem rastlosen Tagesrhythmus und keiner Möglichkeit, mit meinem roten Piratenopel in einen friedlichen Parkhafen einzulaufen. Belustigend? Damals nicht unbedingt, im Nachhinein muss ich darüber aber durchaus schmunzeln.
Volle Fischvielfalt
Doch lasst mich, in meiner Schilderung über die Zeit als fliegender Holländer, zurück zum ersten Morgen am holländischen Kanalmeer kehren. Mit zwei wunderbaren Fischen war natürlich ein Höhenflug vorprogrammiert. Meine Motivation für die kommende Zeit hätte nicht größer sein können. Die Gewässer, an denen ich mich die folgenden Tage austobte boten mir den perfekten Spielplatz dazu. Es ist durchaus erwähnenswert, dass die holländischen Kanäle über einen hervorragenden Fischbestand verfügen. Nicht nur Karpfen in allen Größen und Variationen traf ich hier an, auch Raubfische wie Zander, Hecht und Co bescherten mir spaßgefüllte Tage. Hervorgerufen wird diese prächtige Fischfauna natürlich durch die Einstellung der Einheimischen zu Catch and Release - durchaus ein Punkt, in dem Deutschland hinterherhinkt. Auch wird in bestimmten Regionen regelmäßig mit Karpfen besetzt. Dadurch, dass alle Wasserstraßen miteinander verbunden sind, wirken sich die Besatzmaßnahmen fast auf das gesamte Kanalsystem aus.
Belebte Studentenviertel, hübsche Holländerinnen und farbige Altbauten
Besonders unter Tags, wenn ich mit der Spinnrute die Städte erkundete und Zandern unter Brücken und Booten nachstellte, lernte ich den gesunden Fischbestand zu schätzen. Allerdings kann ich nicht verleugnen, dass ich nicht umhin kam, mir den Genuss eines in Butter angebratenen Zanderfilets zu genehmigen. Auch die Regularien in punkto Nachtangeln an öffentlich beangelbaren Gewässern spielten mir in die Karten. Nachtangeln ist hier kein Versteckspiel und mit dem Erwerb des „Vispass“ hatte ich quasi freie Bahn, was die Gewässerauswahl betraf. Nichtsdestotrotz bewegte ich mich fast ausschließlich an den Kanälen der unglaublich malerischen Städte. Selten hatten meine Augen derart belebte Studentenviertel, hübsche Holländerinnen und solch wunderschöne, farbige Altbauten erblickt.
Im Garten Eden
Zu meinem Erstaunen traf ich in all den Tagen auf keinerlei andere Angler. Das verwunderte mich, denn das Flair dieser Umgebung sucht Seinesgleichen. Parkanlagen erblühen in allen erdenklichen Farben und duften wie der Garten Eden. Rotbraune Backsteinmauern säumen die Kanalufer und geben den verzierten Brücken einen rustikalen Touch. In solcher Kulisse stehend, drillte ich unglaublich kampfstarke Karpfen in braunen Wassermassen, welche sich langsam zwischen Brückenbögen, Pollern und durch Schleusen ihre Wege bahnen. Was mir Schnur von der Rolle zog war jedes Mal aufs Neue nicht vorherzusagen, denn über die Tage besuchte mich fast die gesamte Bandbreite an Karpfen. Schuppis, Spiegler, Fullys, Zeiler, Kois, jung und alt. Alles war dabei.
Die Parkstrategie
Doch auch wenn diese Schilderungen durchaus rosig klingen, war die Zeit in Holland von Entbehrung und Anstrengung geprägt. Wie ich bereits erwähnte, ist es nicht möglich, permanent in den Innenstädten frei zu parken. Zwar mangelte es mir nicht an Geld, hätte ich jedoch konsequent Parktickets gekauft, um an meinen favorisierten Angelstellen parken zu können, hätte mich die Reise durchaus das Doppelte gekostet. Um dieses Problem zu umgehen hatte ich folgende Strategien entwickelt:
Es war spät am Nachmittag. Verschwitzt und erschöpft vom vielen Laufen an diesem Tag traf ich mich mit meinem Opel. Er wartete etwas außerhalb der Stadt, auf einem Parkplatz zwischen Wohnhäusern. Dadurch, dass kein Schild auf Parkgebühren hinwies, wähnte er sich in Sicherheit. Hier sollten ihm die emsigen Ordnungshüter nicht nachstellen. Trotzdem war es immer wieder risikoreich Ihn alleine zu lassen. Schließlich war Er es, der alle Wertsachen an sich hatte. Mit der allmählich tief stehenden Sonne schulterte ich das nötigste an Ausrüstung und begab mich auf den anstrengenden Marsch durch Häuserschluchten, um in einer Parkanlage, inmitten der Stadt, zu angeln. Ein Trolly hatte keinen Platz im Opel gefunden. Deshalb würde es noch lange dauern, bis ich ankommen sollte. Zumindest bescherte mir meine Spinnrute Auszeiten. An fast jeder Brücke machte ich einen kurzen Halt, konnte verschnaufen und meist auch einen Zander fangen. Hoffentlich würde sich der Aufwand bis zum nächsten Morgen auszahlen.
In Anbetracht dieser Umstände ist es verständlich, dass ich auf keinen Gleichgesinnten traf. Treffender müsste man sogar sagen, dass es in Anbetracht dieser Umstände wohl kaum Gleichgesinnte gibt. Dennoch, mein Vorgehen zahlte sich aus und sollte sich als sehr belohnend herausstellen. Umso wichtiger war es, immer wieder ruhige Orte aufzusuchen: Kraft tanken, Ordnung im Auto wiederherstellen und gut kochen war essentiell. Ohne diesen Teil des Alltags hätte ich solch einen Rhythmus nur schwer ausgehalten.
The Real Dutch Mutherfuckers
In den vielen Stunden, die ich auch mit meinem Freund Mark verbrachte, sei es am Wasser oder bei ihm zu Hause, schwärmte er immer wieder von einer alten holländischen Zuchtform. Wir gingen dazu über sie ganz liebevoll „The Real Dutch Mutherfuckers“ zu nennen. Meist mehrere Jahrzehnte alt, urig wie man es sich nur vorstellen kann und von wilden Schuppenmustern übersäht - mehr Dinosaurier als Karpfen, wenn man Marks Erzählungen vollen Glauben schenkte.
Lieber Leser, du kannst es dir mit Sicherheit vorstellen was bei jedem Biss, den ich fortan bekommen sollte, in mir vorging. Etwas abergläubig doch auch überlegt nahm ich mir also vor, eine Parkanlage in der Altstadt meines derzeitigen Aufenthaltsortes zu beangeln. Besonders ruhig erschien mir dieser Kanal. Sollte sich hier tatsächlich ein Karpfensaurier versteckt halten?
In den dunkelsten Stunden des frühen Morgen fand ich mich urplötzlich mit kreischender Rolle am Ufer wieder. Ich spürte meine immer noch schmerzenden Füße vom langen Marsch am vorhergegangenen Abend. Fast eine Stunde hatte ich gebraucht, um vom Opel bis zu dieser Parkanlage zu gelangen. Alles war ruhig dagelegen hier im Herzen der Stadt, als ich mit der untergehenden Sonne aufgebaut hatte, Bilder von wilden Schuppenmustern auf uralten Spieglern in meinem Kopf. So friedlich und ausgelassen ich mich in diesen Abendstunden auch gefühlt hatte, so unangenehm waren die betrunkenen Studenten gewesen, denen mein Zelt als unglaublich interessant erschienen sein musste. Lange hatte ich nicht schlafen können, immer auf das um mich herum Geschehende konzentriert.
Erst vor wenigen Minuten hatte ich Ruhe gefunden und entschwebte augenblicklich in eine Traumwelt. So sehr mein Körper auch nach Schlaf schrie, so sehr wurde er gerade jetzt von Adrenalin durchströmt, als sich die Rute im Halbkreis bog. Was wenig später den Weg in den Kescher fand ließ mich sehnsüchtig den nächsten Morgen erwarten, um die volle Schönheit im Tageslicht zu bewundern.
Einige Wimpernschläge später, zwischen Schlaf auf der Liege und surrender Bremse, wiederholte sich das zuvor Geschehene. Erneut spielte sich der gesamte Drill im Halbschlaf ab. Hatte ich mir am Tag einen Sonnenstich geholt, dass ich in diesen Nachtstunden nur mit halbem Kopf funktionierte? Mit einem starken Kaffee am Morgen fand ich zu meinen Lebensgeistern zurück und beschloss, die Fische der letzten Nacht zu fotografieren.
Als ich die Slings öffnete fielen mir buchstäblich die Augen aus dem Kopf: Der Erste der Doublette entpuppte sich in der Morgensonne als zerfetzer Zeilenkarpfen. Der Andere? Ihr könnt es wohl schon ahnen! Es war mir vergönnt, eine kleine Träumerei Wirklichkeit werden zu lassen. Auge in Auge mit einem dieser Dinosaurier zu sein. Puuh, es ist wahrlich nicht in Worte zu fassen. Job done!
Ruf der Wildnis
Im Laufe der nächsten Tage fing ich noch einige Karpfen. Aber dennoch spürte ich, dass es nun wieder an der Zeit war weiter zu ziehen. Innerlich dürstete es mich nach weitläufiger, wilder Natur. Ich hatte unglaublich Lust, nach England überzusetzen.
Meine letzte Nacht an einem kleinen Flüsschen, inmitten von Weideland, brachte mir zwei Wildschuppis. Ich deutete das als „Ruf der Wildnis“ und beschloss endgültig, dass es an der Zeit war, das Festland zu verlassen, um das Ungewisse auf der Insel zu suchen.
Die kommenden Wochen lebte ich abseits von Trubel in den abgelegenen Weiten Englands und Wales, suchte nach Abenteuern und traf viele inspirierende Menschen. Zudem erlebte ich ganz unverhofft eine der schönsten Angelnächte überhaupt. Im Rückblick auf die gesamte Reise war es wohl die intensivste Zeit. Doch will ich nicht zu viel vorwegnehmen. Lieber Leser, sei vielmehr gespannt auf die Fortsetzung.
Jakob Mehltretter