Liebe Leser und Leserinnen, ich heiße euch herzlich willkommen zu meiner Kolumne „Reif für die Insel“. Für alle, die außer meinem Namen noch nichts über mich wissen, sei so viel verraten. Seit frühsten Jahren treibt mich meine Liebe zur Natur ständig in die Wälder und an die Gewässer der schönen Rheinauen rund um meine Heimatstadt Karlsruhe. Doch mein Leben veränderte sich schlagartig im Frühsommer 2018. Mittlerweile war ich volljährig, hatte mein Abitur in der Tasche, den Führerschein bestanden und zu allem Überfluss noch ein eigenes, sehr geräumiges Auto. Ein jeder wird sich nun denken können was das Resultat dieser Umstände war. Für mich war es an der Zeit, die heimischen Gefilde hinter mir zu lassen und große Abenteuer in weiter Ferne zu suchen. Nun, zum Mittelpunkt der Erde gelangte ich zwar nicht, zumal ich auch bezweifle, dass es sich dort Angeln lässt, dafür aber ins Herz der Karpfenangelei.
Den ein oder anderen wird es wohl wundern, wenn ich nun erzähle, dass mein Ziel nicht etwa die zahllosen Gewässer im Süden Frankreichs oder Spaniens waren. Nein, ich fuhr in die entgegengesetzte Richtung, nach England. An dieser Stelle wird sich der aufmerksame Leser mit Sicherheit eine Erklärung wünschen, weshalb ich denn Aussichten auf sonnige Zeiten und große Karpfen im Süden mit Schmuddelwetter bei Ale trinkenden Walisern und 20 Pfündern eintauschen wollte. Ganz genau beantworten kann ich diese Frage auch nicht, doch seit jeher begeistert mich das Verhältnis der Engländer, welches sie zum Angeln pflegen. Besonders die alten Filme wie „A Passion For Angling“ verkörpern für mich den Geist und die Essenz des Angelns. Doch kommt es immer seltener vor, genau das in den Augen von vor allem jüngeren Anglern zu sehen. Wollen wir jedoch dieses Thema vorerst hinten anstellen und uns in der ersten Folge dem Aufbruch Richtung Holland, und damit dem Start dieser Reise widmen.
Die Reise beginnt
Am Montag dem sechsten Mai 2019 um 5 Uhr sprang ich pochenden Herzens auf den Fahrersitz des eigentlichen Stars dieser Kolumne. Der rote Opel Kadett E Caravan, fast 30 Jahre alt und für die kommende Zeit etwas ausgebaut, erwartete mich bereits vollgepackt vor der Haustüre. Es ist schwer in Worte zu fassen, was für eine Gefühlswelt sich in mir aufbaute, als ich die mir bekannten Autobahnausfahrten hinter mir ließ, dem Opel ordentlich die Peitsche gab und voller Abenteuerlust in das Morgenrot dieses ersten Tages fuhr. Vor mir eröffneten sich drei lange Monate unbeschränkter Freiheit.
Mein erster Halt lag tatsächlich nicht besonders weit von meinem Ausgangspunkt entfernt. Da ich in Holland meinen guten Freund Mark van der Zouw besuchen wollte, war es naheliegend, Max Middelhoff und Vlado Stojanovic eine Visite in Köln abzustatten. Ich wollte nicht allzu schnell ins kalte Wasser springen, vielmehr mich allmählich an das „Leben auf der Straße“ gewöhnen. Eine perfekte Gelegenheit also, ein paar entspannte Tage mit guten Freunden zu verbringen.
Nun, bekanntlich ist aller Anfang schwer. Bereits im Vorjahr begab ich mich auf zwei kürzere Roadtrips, welche mehr oder minder erfolglos geblieben waren. So zuckelten der Opel und ich, zwei fischlose Nächte später, weiter Richtung Holland. Zumindest auf meiner Seite mit Kopfschmerzen und einem mächtigen Kater auf dem Beifahrersitz, der mich schief angrinste.
Mark schickte mir bereits seit Stunden am laufenden Band Videos von kreischenden Rollen und dicken, beschuppten Spieglern. Unaufhörlich erschienen diese Bilder vor mir: Prächtige Karpfen zogen ihre Bahnen auf der Frontscheibe des Opels oder machten ihre letzte Flucht vor dem Kescher. Lediglich wenn der Scheibenwischer wieder für freie Sicht auf die schnell vorbeiziehenden Fahrbahnmarkierungen sorgte, wurde ich zurück in die Realität des kalten, verregneten Maitages gerissen, welcher alles andere als dazu einlud, angeln zu gehen. Einzig eine gute Mahlzeit schafft es an solchen Tagen, etwas Sonne scheinen zu lassen. Denn wie heißt es so schön? „Ein zufriedener Magen ist allzeit ein guter Kamerad.“
Mit der einbrechenden Dunkelheit verzogen sich die Regenwolken und ich erreichte Marks Zuhause. Nach einem kleinen Snack und dem obligatorischen Heinecken machte ich mich auf den Weg zu den städtischen Kanälen. Einige Anhaltspunkte konnte mir Mark geben, ansonsten glichen die endlos verzweigten Kanalsysteme Hollands einem einzigen Labyrinth.
Grell leuchtende Laternen warfen verzerrte Schatten auf die Pflastersteine als ich langsam meinen Opel durch die engen Gassen an ein Kanalufer im Herzen der malerischen Stadt manövrierte. Vereinzelt konnte ich Ringe, vermutlich von Rotaugen, auf der bleiern daliegenden Oberfläche des Kanals ausmachen, während ich die kühle und klare Abendluft, reingewaschen vom Regen, tief einatmete. Auf der anderen Uferseite war allerlei Lachen zu hören, welches sich aus geöffneten Fenstern der Coffeeshops den Weg zu mir bahnte. Immer mehr überkam mich eine unbändige Euphorie, sodass ich mir bis spät in die Nacht Zeit nahm, meine Ruten akkurat zu plazieren, um selbst danach noch lange wie verzaubert an den Ufern zu sitzen und diese einzigartige Atmosphäre einzusaugen.
Der erste Morgen
Ein leichtes Frösteln weckte mich früh am nächsten Morgen. Es musste zwischen fünf und sechs Uhr gewesen sein, Nebelschwaden waberten über die noch unbelebten Uferpromenaden und vereinzelt hörte man das Kläffen eines Köters der besonders motivierten Gassigeher. Immer wieder trafen mich herabfallende Tautropfen und so verkroch ich mich immer tiefer in meinen Schlafsack. Kaum fielen mir die schweren Augenlieder wieder zu, ließ mich ein aufheulender Bissanzeiger wie vom Blitz getroffen auffahren und zu meiner kleinen 6 Fuß Rute sprinten. Kaum hatte ich Kontakt aufgenommen erschlaffte die Schnur auch schon wieder und ich stand aufs äußerste verdattert da. Lange erholen konnte ich mich nicht, denn nur Sekunden später starte die nächste Rute loß, als gälte es den Mond zu erreichen. Immer noch benommen drillte ich meinen ersten Holländer, als plötzlich noch die dritte Rute ablief. Was war den hier bitte los?
Kurz bevor der erste Karpfen über den Kescherrand glitt, erspähte ich eine wilde Reihe Schuppen auf dessen Flanke und zeitgleich zwei wild gestikulierende Polizisten, die sich offenbar über mich unterhielten. Egal, jetzt galt es, den anderen Karpfen zu landen. Ich würde den Leser mit Sicherheit langweile, schilderte ich nun die folgenden 30 Minuten erbarmungslosen Drills in dessen Einzelheiten. Ein schlagfertiger Titel für diese furiose Scene könnte „Kampf der Giganten im versunkenen Zauberwald “ lauten. Nein das ist nicht zwingend nötig, denn zum Glück hatte dieses Duell ein Happy End. In Form eines guten Dreißigers. Die Polizisten applaudierten und erklärten, dass sie bloß auf das Ende ihrer Schicht warteten. Welcome to Holland!
Dieser Morgen läutete einen tagelang anhaltenden Angelrausch an den Wasserstraßen Hollands ein und bildet einen gelungenen Einstieg in diese Kolumne. Doch müsst ihr euch bis zur nächsten Folge gedulden, dass ich diese besondere Erfahrung in allen Einzelheiten mit euch teile. Folgt mir danach in die wilden Weiten Englands und erfahrt alles über wochenlangen Regen, kaum beangelte öffentliche Gewässer und viele haarsträubende Storys über Karpfen, dazu meiner ständigen Suche nach dem Geist des Angelns. Weiter geht es am 16. April!
Jakob Mehltretter