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Life on the Road / 26.12.2019

LIFE ON THE ROAD - die Kolumne von Gaz Fareham: Mittsommer-Blues

Ich sitze hier und schaue aus dem Fenster, es gießt wie aus Eimern, das komplette Vereinigte Königreich wird von Überschwemmungen geplagt. Das Wetter ist so düster wie ein A…loch, wenn ich diese britische Redewendung an dieser Stelle verwenden darf. Weihnachten steht an und bevor ich dann über meine Herbsttrips nach Frankreich schreibe, nehme ich euch nun dorthin mit, wo ich jetzt gerne wäre: in den Sommer, von der Sonne verbrannt und in kurzen Hosen. Ursprünglich hatte ich geplant, schon während des Sommers wieder nach Frankreich zurückzukehren, aber die Hitzewelle im Juni und Juli stellte sich intensiver ein, als mir lieb war. Der Gedanke, an einem felsigen Stausee in 45 Grad Celsius wie eine Eidechse abzuhängen, war nicht das, was ich als Spaß bezeichnen würde. Wir Briten sind Schattengewächse... Statt also einen Hitzschlag und Tod durch Verdursten zu riskieren, entschieden wir uns, ein bisschen weiter oben im Norden zu bleiben. Es sollte nochmal an den kleinen Kanal gehen, dem wir im Mai ein paar dunkle, alte Charakterfische entlocken konnten. Wir wussten, dass es hier noch mehr Schätze zu heben gab. Die Temperaturen waren auf Maximalwerte von Mitte 30 Grad während unseres Trips angesagt. Erst im späteren Verlauf der Woche sollten die 40 Grad fallen und zu diesem Zeitpunkt wären wir schon wieder zuhause. Das schien vernünftig und planbar. 

Sommersonne

Als wir ankamen, empfing uns eine komplett andere Szenerie als damals, als wir im Mai da gewesen waren. Das Wasser war weitere ein bis zwei Fuß gesunken und dichte Kanadische Wasserpest sowie Wasserlinsen breiteten sich über dem Kanal aus. Zumindest wirkten die kleinen „Wildpfade“, die wir im Mai genutzt hatten, um ans Wasser zu kommen, überwachsen und unangetastet. Das brachte uns zu der Annahme, dass hier – seit wir weg waren – kaum, oder vielleicht sogar überhaupt nicht geangelt worden war. 

Wie bei uns üblich, hatten wir lediglich einen groben Plan. Wenn es gut aussah, wollten wir bleiben, wenn nicht, würden wir woanders hingehen. Wir hatten im Frühling noch einen anderen, viel größeren Kanal in Ostbelgien befischt, wohin wir unbedingt zu irgendeinem Zeitpunkt zurückkehren wollten. Uns war bekannt, dass die Fische dort bis über 60 Pfund auf die Waage brachten und wir hatten bei Derek Harrison gesehen, dass er in nur wenigen Tagen im Mai an diesem Gewässer ein Trio Mittvierziger fangen konnte. Das setzte den Kanal eindeutig auf die Liste der Orte, an die wir zurückkehren wollten. 

Derek Harrison mit großem Schuppenkarpfen.Derek Harrison mit großem Schuppenkarpfen.

Eine späte Ankunft

Wie immer schwand das Licht nach einer langen Fahrt sehr schnell und wir teilten die Arbeit untereinander auf, um die Ruten ins Wasser zu bekommen. Ich hatte bereits ein halbes Dutzend Rigs einsatzfertig vorgebunden, so dass wir nur noch die Schnur einclippen mussten und nach ein paar Würfen auf der Suche nach sauberem Grund leicht die Ruten so nahe wie möglich an die Unterwasserhindernisse ablegen konnten. Bei Marcus lief es nicht so gut. Er musste von vorne beginnen und nachdem er im schwächer werdenden Licht ein paarmal die Bäume rasiert hatte, beließ er es bei nur einer Rute – womit er vermutlich nicht besonders zufrieden war. Das Kraut war ein Horror und die Schnur lag fürchterlich, also entschieden wir – sollten wir bleiben – dass am Folgetag der Rechen ausgepackt werden musste. Ich glaube fest daran, dass der saubere Verlauf der Schnur auf einen Spot oft ein fangentscheidender Faktor ist, besonders in klarem Wasser. Und mit den dichten Feldern der Kanadischen Wasserpest, die fast auf der ganzen Strecke die Oberfläche durchbrachen, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass unser Schnurverlauf eine Katastrophe war! Ich hielt es, wie ich es bei Rigs und Montagen immer mache, so einfach wie möglich und nutzte vertrauensvoll mein weiches Hinged Stiff Rig mit einem Boom, an dem ich einen Krill Pop Up befestigte. Nur 30-40 mit Salz und GLM gepimpte Krill Boilies wurden sanft mit dem Katapult darüber gefüttert und die Fallen waren scharf. 

Glorreich am ersten Morgen

Nach ein paar Schurschwimmern und – dank dem Koffein und der Nervosität der ersten Nacht – wenig Schlaf, erwachte ich im ersten Licht des Tages und durfte nach einem heftigen Struggle im Kraut einen wunderschön dunklen Spiegler mit großer Schwanzflosse abschöpfen. Nur eine Stunde später lief die andere Rute ab und bei einem Biss pro Rute konnte ich mit der Ausbeute des ersten Morgens wirklich zufrieden sein. Nach Kaffee, Brioche und einigen Fotos warteten wir noch ein wenig in den Morgen – bis nach der Beißzeit – hinein, um mit dem Rechen zu beginnen. Hierfür nutze ich ein Blei aus der Meeresangelei mit eng angelegten Krallen. Hierdurch biegen sich diese nicht zurück, was für das Säubern eines Spots vom Kraut hervorragend funktioniert. Ich verwendete die gleiche geclippte Weite wie für meine Angelruten, um mithilfe meiner Spodrute und starken Geflechts einige Tunnels ins Kraut zu ziehen. Immer wieder warf ich das Blei in Richtung desselben Punkts, zog meinen „Rechen“ langsam heran und holte auf diese Weise jedes Mal eine rucksackgroße Portion des grünen Zeugs ein. Obwohl ich an diesem Morgen zwei Bisse gehabt hatte, war mir klar, dass ich durch einen besseren Schnurverlauf sowohl die Chance hatte, noch mehr Bisse zu bekommen, als auch, diese sicherer zu landen. Marcus‘ Spots waren wesentlich stärker verkrautet und obwohl er tat, was er konnte, sollte sich im weiteren Verlauf der Session noch herausstellen, dass es nicht genug gewesen war. 

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Schwarzes Gold

Die Ruten lagen an diesem Abend perfekt und sie wurden begleitet von weiteren circa 50 Salz- und GLM-ummantelten Krill Boilies. Wir lehnten uns zurück und genossen die Ruhe des Kanals, an dem wir – abgesehen von ein paar Leuten mit ihren Hunden und einigen Radfahrern – seit unserer Ankunft keine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatten. In dieser Nacht ging es bei Marcus mit Schnurschwimmern, aber keinen Bissen, weiter. Mein Spot hingegen brachte am folgenden Morgen drei weitere Runs. Kurz vor dem ersten Tageslicht kämpfte ich in einem brutalen Drill gegen einen Schupper mit großer Schwanzpartie, direkt nachdem ich einen weiteren im Unterwasserdschungel verloren hatte. Diesem Fisch folgte alsbald ein hübscher Spiegler mit kurzen Flossen und kleinem Schwanz. Dies war vielleicht nicht der größte Karpfen, den ich je gefangen habe, dennoch war er wunderschön. Und noch immer war kein anderer Angler weit und breit. 

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Der Fischverlust stimmte mich nachdenklich, also ersetzte ich meine beiden kurzen Leadcore Leaders gegen viel längere von 3 – 4 Fuß. Dies tat ich in der Hoffnung, dass eine deutlich erhöhte Abriebfestigkeit und mehr Sicherheit gegeben wäre, sollte ein Fisch wieder in die muschelverkrusteten Hindernisse flüchten. Der Plan, die Spots vom Kraut zu säubern, schien sich bezahlt zu machen. Während viele Angler sich hierbei immer um die unter Wasser erzeugte Unruhe sorgen, halte ich den gegenteiligen Effekt für gegeben, denn oft sind die Karpfen anschließend sehr neugierig und der Rechen gräbt den Boden um, wodurch verborgenes Futter aus dem Lehm und Kraut zum Vorschein kommt. Selbst an dem kleinen und äußerst überschaubaren Abschnitt dieses hindernisreichen Kanals waren die Fische binnen zwölf Stunden schon wieder an unserem Spot auf Futtersuche gegangen. 

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Noch mehr Spiegler

So langsam glaube ich, dass mich die Gewitter über Europa hinweg verfolgen. Nachdem ich vor einigen Jahren von einem Blitz getroffen wurde, bin ich bis heute ein wenig nervös im Gewitter. Es wird zwar behauptet, dass der Blitz nie ein zweites Mal in die gleiche Stelle einschlägt, aber wer weiß das schon. Nach einigen wilden Stunden an diesem Nachmittag und ein paar weiteren Stunden nicht enden wollender Blitze und rollendem Donner über uns, zog das Unwetter endlich ab. Wir legten die Ruten neu und hofften, dass der kühle Regen etwas Schwung unter Wasser gebracht hatte. In dieser Nacht war Marcus an der Reihe, denn er fing einen herrlichen dunklen Spiegler, ich einen kleineren Schupper. 

Wir hatten jeden Tag die Wettervorhersage verfolgt und am kommenden Mittwoch wurden bis um 40 Grad angekündigt. Nicht gerade ideal zum Angeln, und noch weniger ideal für einen Kanal ohne einen Schatten spendenden Baum weit und breit entlang unseres Ufers. Unser einziger Gedanke war nur noch „Sch… drauf“, hatten wir doch schon ein paar gute Fische gefangen und den Großteil an Filmmaterial zusammen. Wir beschlossen, nur noch eine letzte Nacht zu bleiben und am folgenden Tag – vor der größten Hitze – nach Hause zu fahren. Aufgrund der Hindernisangelei waren wir während des bisherigen Trips ziemlich an unsere Ruten „gebunden“ gewesen, an diesem Nachmittag wanderte ich jedoch mit der Kamera am Ufer entlang, um ein paar Landschaftsaufnahmen für mein Video zu machen. 

Voll neuer Eindrücke und mit wieder wachen Augen, beschloss ich bei meiner Rückkehr an den Platz, meine Ruten neu anzuordnen. Schließlich hätte ich unter den gegebenen Bedingungen meiner Ansicht nach mehr als nur den einen Biss haben sollen. Nach kurzem Ausloten fand ich einen vielversprechenden Spot rechts von mir, nur einen Fuß breit vor einem großen Unterwasserhindernis, wo der Boden sich sauber anfühlte. Da ich so ein Gefühl hatte, dass die Fische von diesem Gebiet angezogen wurden, legte ich kurzerhand eine meiner Ruten genau auf diesem Spot ab. Nur drei bis vier Würfe später spürte ich das Blei sauber auf dem kleinen harten Punkt landen und fütterte die üblichen 40-50 behandelten Krills mithilfe meines Match-Katapults. Mit diesem schnickte ich Boilie für Boilie einzeln und akkurat hinaus, um nicht das Futter auf einer großen Fläche zu verteilen. 

Gareth Fareham am Kanal.Gareth Fareham benutzt ein IQ D Rig.

Das Beste kommt zum Schluss 

Beim ersten Licht des Tages hatte ich zwei unglaubliche Spiegler im Sack, die auf ihre Fotosession warteten. Jeder der Fische kam von je einem der beiden Spots, der bessere – einer der größeren Spiegler des Kanalabschnitts und gleichzeitig der beste Fisch des gesamten Trips – sogar vom neuen. Fast hätte der Karpfen allerdings das Tageslicht nicht gesehen. Der Biss war der absolute Hammer und in meinem schlaftrunkenen Zustand war ich tatsächlich zuerst zur falschen Rute gerannt. Erst spät bemerkte ich, dass hier keine LED brannte, sondern nur das Schimmern der anderen weit entfernt durchs hohe Gras zu sehen war.  Als ich die richtige Rute endlich erreichte, war die Spitze schon fast im Kreis gebogen und ich spürte nach der Aufnahme sofort dieses fürchterliche Gefühl von Schnur an Holz. Ich bewegte mich zentimeterweise zurück und gewann vorsichtig Schnur, bis alles komplett fest war. Das Schlimmste befürchtend, ging ich so weit links mein Ufer hinunter wie nur irgend möglich, um aus einem anderen Winkel zu ziehen. Zu meiner größten Verwunderung spürte ich nach einigen Minuten des Stillstands ein paar Rucke und plötzlich ging es wieder weiter. Der restliche Drill gestaltete sich weniger dramatisch, aber es handelte sich offensichtlich – so nahm ich aufgrund des Gewichts und der schweren Schufterei an– um einen besseren Fisch. Dann endlich, im Licht der Kopflampe, glitt sie über das Keschernetz. Die Freuden der letzten Nacht! 

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Nach Anbruch des Tages lief die andere Rute ab und nach einem deutlich weniger dramatischen Drill schwappte ein weiterer alter Spiegelkarpfen ins Netz; von Kraut umhüllt und das Hinged Rig sauber in der Unterlippe. Nach ungefähr einer Stunde des Wartens auf besseres Licht fotografierten wir die Fische noch bevor das grelle Sonnenlicht zuschlug. Beide waren so schwarz wie das Pik-Ass eines Kartenspiels und waren von komplett unterschiedlichem Charakter. Der größere war ein langer, schlanker Spiegler mit klassischen Proportionen und einer wundervoll gekräuselten unteren Hälfte der Schwanzflosse, der zweite ein kurzer, breiter und gedrungener Fisch mit ledriger, alt wirkender Haut. Dies war das perfekte Ende unseres Trips. Es gibt in meinen Augen nur wenige schönere Dinge, als mit nassen Knien einzupacken. Die Heimfahrt verlief geschmeidig und zügig, und das, obwohl ich keine Klimaanlage in meinem Van habe. 

Work – Life – Balance

Den restlichen Sommer über arbeitete ich viel, begleitete in den meisten Wochen Guidings, filmte und schrieb, dazu die übliche anfallende Arbeit bei Subsurface. Die Guidings waren erfolgreich und sowohl meine Kunden als auch ich fingen Fische bis 49lb, darunter jede Menge 30-Pfünder. Eine besonders erfolgreiche Session im Sommer sticht für mich jedoch klar hervor, welche an einem schwierigen Vereinsgewässer im Vereinigten Königreich stattfand, das dafür bekannt ist, besonders stark frequentiert zu werden und unglaublich anspruchsvoll ist. Ich verbrachte dort drei schnelle Nächte mit einer kompletten Filmcrew für das Thinking Anglers Video des nächsten Jahres. Hierbei gelang es mir, vier Fische zu fangen: einen kleineren Schupper, einen herrlich beschuppten Spiegler von 30 Pfund, einen der größeren Spiegler des A-Teams mit 37 Pfund und am letzten Morgen schlussendlich – nach einem unglaublich heftigen Drill vom Boot – den größten Spiegelkarpfen des Sees. 

Dieser Fisch lieferte den krönenden Abschluss für den Film, der im Frühling herauskommen wird. Darüber hinaus zeigte diese Perle einmal mehr, welche Macht meine geliebte Taktik im UK-Style ist. Hierfür verwende ich auf maximalste Distanzen Hanf, Boilie-Crumb und kleine, ausbalancierte Tigernüsse auf kleinen Kiesflecken. 

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus einem Kanal.

Gareth Fareham mit Spiegelkarpfen aus England.

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Der Herbst ist da

Noch ehe ich mich versah, wurden die Nächte wieder länger, war der Morgentau wieder da und die Blätter begannen, sich zu verfärben. Der Herbst wollte Einzug halten. Also buchte ich eine weitere Fahrt im Eurotunnel für die letzte Woche des Septembers und ich konnte nicht erwarten, dass es endlich losging. Nach dem Druck an den Gewässern meiner Heimat und dem kleinen Kanal, war es nun an der Zeit, wieder an die großen französischen Stauseen und ihren weiten Horizont zurückzukehren.

G

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