Der Rainbow Lake ist ein kommerziell bewirtschaftetes Gewässer, ein klassischer Paylake. Heißt: Der See ist in Privatbesitz und einen Platz muss man buchen, um dort angeln zu können. Im Grunde ist das absolut nicht mein Ding, ich befische viel lieber öffentliche Gewässer. Ich habe nichts gegen Paylakes, bei manchen dieser Seen ist die Verlockung aufgrund ihrer besonderen Karpfenbestände sogar sehr groß. Allerdings reizen mich die zahlreichen öffentlich zugänglichen Gewässer mit ihren ebenfalls besonderen und vor allem wilden Fischen bedeutend mehr und bieten mir echtes Abenteuer und Freiheit. Darüber hinaus haben Fänge aus für jeden zugänglichen Gewässern für mich einen viel größeren Wert.
Warum bin ich dann überhaupt zum Rainbow Lake gefahren? Ganz einfach: Weil er anders ist! Genauso wie öffentliches Gewässer nicht gleich öffentliches Gewässer ist und man einen gut besetzten deutschen Vereinssee mit groß gefütterten Fischen nicht mit einem wilden südfranzösischen Stausee vergleichen kann, kann man auch Paylakes nicht alle über einen Kamm scheren. Der Rainbow Lake ist unter allen mir bekannten Gewässern einzigartig. Zum einen aufgrund des Sees an sich: Mit seinen vielen Inseln und umgefallenen Bäumen ist er völlig verwildert und erfordert eine ganz eigene und anspruchsvolle Herangehensweise. Zum anderen hat er einen uralten Bestand von wirklich gigantischen Fischen, welche im See groß geworden und dort völlig heimisch sind. Es sind überdurchschnittlich viele große Karpfen im See, gar keine Frage. Einfach wird es dadurch aber nicht. Mir war es schon vorher klar, aber nachdem ich selbst dort war, bin ich davon überzeugt: Der Rainbow Lake ist eines der härtesten Gewässer und eine Herausforderung für jeden Angler. Obwohl der Wert eines dort gefangenen Karpfens für mich nie größer sein würde als von einem identischen Fisch aus freier Wildbahn, wollte ich dem Rainbow Lake selbst als klaren Befürworter von öffentlichen Gewässern unbedingt eine Chance geben. Und ich nehme es gleich vorweg: Ich wurde nicht enttäuscht!
Außerdem: Beim Angeln gilt es, Gelegenheiten zu nutzen. Und eine vielleicht einmalige Gelegenheit ergab sich für mich im letzten Dezember. Mein Freund Philipp Niemeier fragte mich nämlich, ob ich nicht Lust hätte, ihn spontan für eine Woche mit an den Rainbow Lake in Südfrankreich zu begleiten. Sein Angelpartner hatte abgesagt und somit suchte er nun jemanden, der für ihn einspringt. Diesen See zu beangeln war für mich schon lange ein Traum, nicht zuletzt aufgrund des unglaublichen Bestands an großen Fischen. Bisher war er allerdings unerreichbar für mich, denn ohne Beziehungen zum Seebesitzer ist es nahezu unmöglich, dort einen Platz zu bekommen. Dieses Angebot wäre möglicherweise meine einzige Chance, dieses berühmte Gewässer zu beangeln. Ich zögerte also nicht lange und sagte Philipp fest zu.
Ankunft
Am Freitag den 13. Dezember machten wir uns abends auf den Weg Richtung Bordeaux und fuhren die Nacht durch. Im ersten Licht kamen wir nach zwölfstündiger Fahrt an den Ufern des Sees an und ich war direkt begeistert. Das Gewässer ist genauso verwildert, wie es auf all den Bildern wirkte. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich hier unbedingt angeln wollte, obwohl es sich um einen Paylake handelt. Im Gegensatz zu vielen Paylakes hat der Rainbow Lake nämlich nicht nur einen uralten Karpfenbestand, sondern ist an sich völlig der Natur überlassen. Im gesamten See liegen umgefallene Bäume und die unzähligen Inseln erwecken den Eindruck eines überfluteten Waldes.
Die Qual der Wahl
Nachdem wir uns die Beine nach der langen Fahrt vertreten haben, bezogen wir unsere Stelle: Peg 11. Ein guter Platz für diese Jahreszeit, wie ich im Vorfeld durch etwas Recherche herausfand. Diese Stelle bietet nämlich nicht nur Flachwasser in der Nähe der Inseln sondern auch tiefe Bereiche, falls es kalt werden sollte. Wir hatten dort also viel Spielraum, um auf verschiedene Gegebenheiten zu reagieren. Da es an diesem ersten Vormittag recht windig war, wartete ich noch eine Weile mit dem Ablegen der Ruten. Ich musste mir sowieso erst mal einen Überblick verschaffen und war mit der Auswahl an möglichen Spots ziemlich überfordert. Der See ist übersät mit Inseln und allein diese lassen sich mit einer Vielzahl von Möglichkeiten beangeln. Dazu kommt noch eine ganze Menge Struktur im Freiwasser, denn Unterwasser setzen sich die Inseln fort und bilden langgezogene Bänke. Während ich in Frankreich normalerweise Probleme habe, alle vier Ruten effektiv einzusetzen, war hier das Gegenteil der Fall. Am späten Nachmittag musste aber so langsam eine Entscheidung her und ich entschied mich, drei Ruten, typisch für dieses Gewässer, direkt an Inseln und die vierte Rute auf Erhebung im Freiwasser abzulegen. Mit dem Futter ging ich auf Nummer sicher und fütterte jeweils nur eine gute Handvoll Boilies und eine Kelle Partikel, hauptsächlich Hanf. Auch wenn die Karpfen bei einer Oberflächentemperatur von 10,5 Grad bestimmt noch hungrig waren, wollte ich kein Risiko eingehen und stellte vorerst nur Fallen. Ganz zufrieden war ich mit den Spots noch nicht, aber dennoch lagen die Montagen sauber präsentiert und es Bestand jede Chance auf einen Biss. Mein Plan war es, in den nächsten Tagen die Augen und Ohren nach Fischen offen zu halten, und dann auf die Zeichen zu reagieren
Einfach da sein
Die ersten beiden Nächte verliefen ruhig, was uns an diesem See in dieser Jahreszeit aber überhaupt nicht beunruhigte. Dass es nicht einfach werden würde, war mir von vornherein klar. Aber überhaupt dort zu sein und die Atmosphäre zu erleben, reichte mir zu Beginn völlig aus. Selten erlebte ich eine Stille wie an diesem Ort. Dazu kommen die Pinienwälder, welche den gesamten See umgeben und ihm das gewisse Etwas geben. Nicht zuletzt war da noch immer diese ständige Spannung in der Luft, welche mit dem Wissen über die riesigen Fische einherging.
Von Null auf Hundert
Nach zwei ruhigen Tagen wendete sich am Montag das Blatt schlagartig. Wir saßen vor Philipps Zelt und hatten gerade das Frühstück hinter uns, als wie aus dem Nichts eine seiner Ruten ablief. Nach einem kurzen Drill landete Philipp einen Schuppi von etwa 12kg. Kein großer Fisch für das Gewässer, aber ein riesiger Erfolg für uns! Der Anfang war gemacht und wir wurden richtig zuversichtlich für die kommenden Tage. Was im Verlauf dieses Tages aber noch passieren würde, hätte keiner von uns erwartet. Philipp fing innerhalb weniger Stunden noch zwei weitere Schuppis mit 25,6 und 27,3kg. Wir wussten zwar, dass derartiges an diesem See möglich ist, es aber selbst zu erleben war einfach nur heftig! Es wirkte wie der Anfang einer richtigen Serie für Philipp, aber leider irrten wir uns. Am nächsten Tag fing er noch einen weiteren Schuppi mit knapp unter 20kg und dann kehrte wieder Ruhe ein.
Zweifel
Die Tage vergingen wie im Flug und jeden Morgen fragte ich mich aufs Neue, warum bei mir immer noch nichts passiert ist. Es kamen alle möglichen Zweifel auf und ich stellte zwischenzeitlich sogar meine vertrauten Köder in Frage. Der ursprüngliche Plan, auf die Zeichen der Fische zu reagieren, ließ sich leider nicht umsetzen - es zeigten sich nämlich einfach keine. Hier und da sah man mal einen Raubfisch springen, von Karpfen war in meinem Bereich aber weit und breit keine Spur. Hin und wieder legte ich mal eine Rute um, um so vielleicht auf die Karpfen zu stoßen. Wirklich effektiv schien mir dieses Vorgehen allerdings nicht. Mir war eigentlich klar, dass es gerade an diesem hart beangelten See sinnvoller ist, für Ruhe zu sorgen und die Ruten am besten mehrere Nächte am Stück liegen zu lassen. Da ich aber einfach noch nicht genug Vertrauen in die Spots hatte, fehlte mir dafür die Geduld. Zu diesem Zeitpunkt war meine Angelei noch sehr geprägt von den vielen Berichten und Videos über das Gewässer. Diese vermittelten mir immer den Eindruck, als müsste man hier auf extreme Weise in der Nähe von Hindernissen angeln, um Erfolg zu haben. Bilder von steil aufgestellten Ruten, stark gespannten und umgelenkten Schnüren schwirrten mir durch den Kopf und beeinflussten mich sehr stark bei der Stellenwahl. Obwohl diese Angelei eigentlich gar nicht mein Ding ist und ich auch kein großes Vertrauen in die Spots hatte, orientierte ich mich sehr daran. Mir wurde immer bewusster, dass ich meinem eigenen Angelstil nicht treu blieb und mich mehr von anderen Anglern, als von meinem Bauchgefühl steuern ließ. Als ich das realisierte, machte ich mir Gedanken und schmiedete einen Plan für die verbleibenden Tage.
Ein neuer Plan
Es war Mittwoch und es blieben uns noch drei Nächte. Ich wollte alles auf Null setzen und meine vier Ruten mit einem so guten Gefühl neu ablegen, dass ich sie mit bestem Gewissen bis zum Ende liegen lassen konnte. All die Infos, welche ich über das Gewässer gesammelt hatte, versuchte ich für einen Moment auszublenden und mich nur auf mein eigenes Gespür zu konzentrieren. Ich fragte mich, wie ich das Gewässer ohne jegliches Vorwissen beangeln würde. Wie würde ich wohl an einem derartigen See in der Heimat vorgehen? An den Gewässern Zuhause würde ich um diese Zeit jedenfalls nicht in den flachen Bereichen rund um die Inseln angeln, sondern im tiefen Wasser. Und davon war direkt vor uns reichlich gegeben, ich hatte es bisher nur einfach ignoriert und bis auf eine Rute alles auf die klassischen Spots gesetzt. Wie anfangs gesagt, befand sich im Freiwasser vor uns viel Struktur in Form von Bänken und somit auch viele interessante Möglichkeiten, dort zu angeln. Direkt auf den Bänken war es zwei bis drei Meter tief, drumherum ging es auf sieben bis acht Meter runter. Da der Boden ab einer Tiefe von sechs Metern allerdings recht schlammig wurde, legte ich die Ruten lieber nur bis auf etwa fünfeinhalb Meter ab. Ich versuchte, das meiste aus dem mir zur Verfügung stehenden Bereich herauszuholen und verteilte meine vier Montagen strategisch in einem Quadrat. Auf diese Weise konnte ich die größtmögliche Wasserfläche abdecken und war mir sicher, dass durchziehende Karpfen nie weit von einem meiner Köder entfernt waren. Da sich nun meine komplette Angelei in völlig hindernisfreiem Wasser abspielte, war auch das klassische Rainbow-Setup, bestehend aus Geflecht, Subfloats und großen Haken nicht mehr notwendig. Nun angelte ich mit monofiler Schnur, Inlinebleien, kleinen Haken und konnte ganz entspannt die Bremse geöffnet lassen. Das war mein Angelstil und ich fühlte mich wohl dabei!
Erleichterung
Es vergingen zwei weitere Tage und noch immer hatte sich bei mir nichts getan. Aber im Vergleich zu vorher, war ich nun sehr entspannt. Da es mein Plan war, die Ruten bis zum Ende liegen zu lassen, konnte ich sowieso nicht mehr viel an der Situation ändern. Ich hatte mein Bestes gegeben und konnte nun nur noch warten. Wie selten zuvor hoffte ich auf einen Biss, aber wirklich damit gerechnet habe ich nicht mehr. Dementsprechend verwundert war ich, als ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von einem Run völlig aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Es war die Rute, welche auf der ersten Bank und damit gerade mal 50 Meter vom eigenen Ufer entfernt lag. Nach einem schnellen Drill ohne viel Gegenwehr blickte ich auf meinen ersten Rainbow-Karpfen im Kescher. Ein langer Spiegler mit 14kg, der für mich in diesem Moment die Welt bedeutete!
Der letzte Tag
Nach dieser regnerischen Nacht brachte uns der letzte Tag vor der Abreise nochmal traumhaftes Wetter. Wir saßen zusammen in der Sonne und ließen die Woche Revue passieren, als die nahe Rute plötzlich nochmal ablief. Im Vergleich zum ersten Fisch fühlte sich dieser deutlich besser an. Statt gleich an die Oberfläche zu kommen, stand er sehr tief und machte nur ruhige Bewegungen. Ich rechnete mit einem großen Fisch und war sehr überrascht, als wieder ein 14kg-Spiegler im Kescher landete. Dennoch war die Freude über den zweiten Fisch riesig, vor allem nach über fünf Tagen ohne Aktion! Auch wenn ich mehr als zufrieden war, hoffte ich natürlich auf mehr. Wir hatten schließlich noch bis zum nächsten Tag Zeit, und nach diesen zwei Fischen bestand jede Chance auf einen weiteren in der letzten Nacht.
Happy End
Wir waren sehr zuversichtlich und das gute Gefühl wurde am nächsten Morgen bestätigt, denn um kurz vor fünf bekam ich tatsächlich einen weiteren Lauf. Aber ganz anders als erwartet nicht auf der nahen Bank, sondern auf meiner am weitesten entfernten Rute. Direkt ging es aufs Boot und ich steuerte dem Fisch ohne Spannung aufzubauen entgegen. Erst als ich über ihm angekommen war, baute ich langsam Druck auf und spürte zu meiner Erleichterung direkt ein paar kräftige Kopfschläge. Der Fisch stand tief, zu tief. Anhand der Menge der Schlagschnur auf der Rolle konnte ich abschätzen, dass er direkt am Grund war. Und da wollte ich ihn aus Angst vor möglichen Hindernissen unbedingt wegbekommen. In diesem Bereich bestand zwar eigentlich keine Gefahr, wie ich auf dem Echolot in den vorherigen Tagen erkennen konnte, aber hinsichtlich der großen Menge an Holz in anderen Bereichen wollte ich in dieser Situation einfach kein Risiko eingehen. Ich erhöhte den Druck, konnte aber dennoch erst Schnur gewinnen als die Rute völlig durch gebogen war. Langsam realisierte ich, was ich da womöglich am Haken hatte. Der Spiegler am Vortag verhielt sich zwar ähnlich im Drill, hatte aber bei weitem nicht so viel Gewicht dahinter. Es verging eine gefühlte Ewigkeit bis ich den Fisch in der Nähe der Oberfläche hatte, erkennen konnte ich aufgrund des trüben Wassers aber noch gar nichts. Plötzlich war es dann soweit und ein richtig großer Schuppi lag breit vorm Boot, ich zögerte keine Sekunde und mir gelang es glücklicherweise, ihn direkt zu keschern. Beim Blick auf den Rücken wusste ich sofort, dass gerade ein Traum wahr geworden war. Es war ein unwirklicher Moment, der sich nur schwer in Worte fassen lässt. Nur zwei Tage vorher rechnete ich noch damit, komplett leer auszugehen, und nun blickte ich auf diesen riesigen Schuppi vor mir im Kescher. Es fühlte sich zu schön an um wahr zu sein. Mir war direkt klar, dass der Fisch schwer ist, wie viel er aber wirklich wiegen sollte realisierte ich noch nicht. Spätestens beim Anheben der Schlinge dämmerte es mir aber, was ich da gerade gefangen hatte. Und die Waage bestätigte es mit genau 29kg - ein neuer PB. Ich war sprachlos und musste mich erst mal kurz sammeln, bevor wir ihn dann in der Dunkelheit fotografierten und uns vollkommen überwältigt auf den Heimweg machten.