Intuition ist der allgemein bekanntere Begriff für das, was wir Karpfenangler Watercraft nennen. Intuition ist, wenn Dein Bauchgefühl zu Dir spricht. Sie irrt sich nie! Doch sie ist nicht immer leicht zu erkennen.
Mir ist in verschiedenen Bereichen meines Lebens aufgefallen, dass die intuitiven Fähigkeiten mit Erfahrungen wachsen. Wie ich es schon 2011 in Karpfenzeit beschrieb: Watercraft ist erlernbar. Im Weg steht ihr die Verunsicherung des rationalen Denkens: Passt das Rig hier? Ist das nicht zu tief? Was, wenn der vor mir auch so viel gefüttert hat? Es gehört etwas dazu, einem Bauchgefühl, diesem unbestimmten Impuls, wirklich zu folgen. Mir gelingt das längst nicht immer, besonders am Anfang der Saison tue ich mich damit oft schwer. Umso besser, dass es dieses Mal bilderbuchmäßig aufging!
Rein ins Abenteuer
Mein Saisonstart wurde durch ein echtes Abenteuer unterbrochen: Über die Osterferien reiste ich mit meiner Familie durch Panama. Angrenzend an Costa Rica und Kolumbien verbindet dieses Land Mittel- und Südamerika und beheimatet eine wirklich unglaubliche Flora und Fauna. Wir erlebten eine intensive, fantastische Zeit, erklommen Vulkane, lebten auf einsamen Inseln und erkundeten den Regenwald.
Bestandsaufnahme
Auch wollten wir die Übergangszeit überbrücken und ins Warme zurückkommen. Das gelang aber nicht wirklich, denn während wir auf Reisen waren, ging eine regelrechte Hitzewelle über Deutschland. Selbst an den tieferen Baggerseen wurden die Fische wach, aber so richtig! Mein Kumpel Nico legte an genau so einem Gewässer eine regelrechte Bestandsaufnahme hin. Auch andere Angler waren sehr erfolgreich, mein WhatsApp-Postfach quoll förmlich über, als ich es nach der Tour wieder aufrief. Nicos Erfolgstaktik war, wie so oft, die Fische zu suchen, ungeachtet der Tiefe, über der sie sich zeigten, und sie dort effektiv, mobil zu beangeln! Er fing Ende April dabei schon bis 7 Meter Wassertiefe.
Eine Chance
Wenn ein Großteil des Bestandes bei besten Bedingungen gefangen wurde, eröffnet das die Chance auf genau die Fische, die eben noch nicht gehakt wurden. Sie stehen nie besser als in so einer Situation zu Saisonbeginn. Besonders mit einem Fisch aus dem Gewässer, an dem Nico so gut fing, hatte ich noch eine Rechnung offen: Halbmond, benannt nach der ungewöhnlichen Verfärbung am Bauch, war der Top-Fisch des Sees und eigentlich ein sehr regelmäßiger Besucher an Land. Doch er passte von seinem Verhalten her überhaupt nicht zu der Angelei, die ich dort betrieb: ausgelegt auf viele Runs und schnelle Instant-Aktionen. Es war sehr ungewöhnlich, dass er noch nicht dabei gewesen war im Frühjahr. Doch das war meine Chance, ich hatte intuitiv sofort genau den Gedanken: Halfmoon, jetzt oder nie!
Entscheidungen treffen
Eine Nacht kurierte ich den Jetlag aus, dann konnte ich mir eine Nacht zum Angeln freischaufeln. Und schon meldete sich der Verstand, um das Buchgefühl zu hinterfragen. Nico hatte mit einem Freund zwei weitere Nächte am Wasser verbracht und seine Bestandsaufnahme erweitert. Halbmond war nicht unter den Fängen. Ich könnte jetzt entweder seinen Platz übernehmen und die abgegrasten Spots in der Hoffnung auf den dicken Abräumer angehen, oder mein ganz eigenes Ding an einem anderen Gewässer machen – frei von Erwartungen. In den meisten Fällen hätte ich mich für Zweites entschieden, nicht dieses Mal! Denn meine Intuition sprach zu laut mit mir. Auch wurden die Bedingungen mies, stark steigender Luftdruck am Folgemorgen. Ein Chancentod für viele Runs, aber manchmal gar nicht so schlecht für einen guten Fisch. Endgültig entschied ich mich für den abgeangelten Platz, als ich vorläufig auf dem Seitenstreifen am Parkplatz anhielt, da keiner frei war. Im Kopf schob ich noch unschlüssige Gedanken hin und her, da wurde doch tatsächlich der beste Parkplatz am See vor meinen Augen frei. Ein Zeichen?! Entscheidung getroffen, Bus geparkt, Trolley rausgefahren, ab zum Platz!
Präzise füttern
Beim Aufbau merkte ich auch meinen Jetlag noch, soviel Zeit wie ich mir dabei ließ. Die Ruten längte ich auf exakt die Distanzen ab, die Nico auch erfolgreich gefischt hatte. Doch statt großflächig kleine Boilies zu verteilen, wie sonst üblich und clever, um viele Fische anzusprechen, fütterte ich nur mit der Spomb: vier halbvolle Raketen mit Hanf und Boilies je Spot. Ich war nicht routiniert wie sonst, da noch halb in Panama, aber irgendwie wusste ich, dass es passieren würde...
Der eine Biss
Es dämmerte ordentlich und der Skotti war gerade an, als Spannung auf die Schnur der mittleren Rute kam. Der Bobbin klebte unterm Blank, nur drei Töne, aber definitiv ein Take! Ich nahm Kontakt auf und hörte nur jemanden „Der hat Biss!“ hinter mir sagen. Der Fisch zog konstant nach rechts ins Freiwasser und dann nahm er Fahrt auf: Er legte eine nicht enden wollende Flucht hin, es war fast albern, wie lange ich ihm Schnur geben musste. Und aus meinem Gefühl wurde Gewissheit, es konnte nur der eine sein – das Verhalten war so typisch für ihn! „Ein Guter?“ klang es von links hinter mir, ich drehte mich um und dort stand ein anderer Angler. Irgendwie war ich wirklich noch halb in Panama. Und tat, wonach ich mich wirklich fühlte: ich bat ihn, mir diesen Moment alleine zu lassen, damit ich ihn genießen könnte. Ob er das verstehen würde und das ich es nicht böse meine. Er verstand und beobachtete das Treiben fortan aus einiger Distanz. Der Drill zog sich ewig hin, mein Gegenüber schaffte es sogar, sich festzuschwimmen. Ich genoss den Moment sah diesen Drill als den eigentlichen Start meiner Saison 2019. Als der Halbmond dann tatsächlich endlich im Kescher war, stand mein Beobachter wieder neben mir und sagte nur: „Na, du lässt dir aber Zeit beim Drillen!“ Ich sparte es mir, ihm zu erläutern, dass dieser Fisch einfach Bärenkräfte hatte.
Frei sein
Gemeinsam versorgten wir den uralten Spiegler und machten in der werdenden Nacht ein paar Fotos. Von einer tiefen Zufriedenheit wie berauscht, widmete ich mich danach meinem Essen. Ich hatte es tatsächlich geschafft, war meiner Intuition gefolgt, hatte sie mir nicht durch Gedanken ausreden lassen und den Plan konsequent umgesetzt. Und ja, das ging wirklich mal auf, wie im Bilderbuch. Der Halbmond war mein erster Fisch in diesem Jahr an diesem See, mein erster Biss und schon konnte ich sagen: Job done! Und er blieb der einzige Fisch dieser Nacht, abgesehen von einem Brassen. Das Schöne daran ist ja, dass ich nach so einem tollen Erfolgserlebnis, mit einem – noch dazu großen – Wunschfisch auf der Habenseite, ganz entspannt in diese Saison gehe. Finde die Stimme in Dir und lausche ihr, sie wird Dich nicht belügen!
Christopher Paschmanns
NEU und für mehr anglerischen Tiefgang: die taktischen Erkenntnisse dieser Kolumne im Überblick:
- Aus Intuition entsteht Watercraft und Watercraft ist erlernbar.
- Werden die Fische "wach", dann geht es rund! Jetzt gilt - wie immer: Wer sie findet, fängt!
- Erst suchen, dann angeln!
- Auch tiefes Wasser kann im Frühjahr sehr produktiv sein! Besonders nach starken Winden, die das Gewässer durchmischen.
- Zeigen sich Fische: ausprobieren!
- Das Verhalten anderer Angler und die Tatsache, welche Fische bereits gefangen wurden, können dem Zielfischangler in die Karten spielen!
- Schlechte Wetterbedingungen für viele Bisse können gute für den einen Dicken sein.
- Hier geht's zum Audiocoaching zum Thema Luftdruck lesen!
- Präzise, kompakte Futterplätze sprechen weniger Fische an und können den Weg zum Großen abkürzen.
- Wähle die Farbe des Köders immer der Situation angepasst!
- Hier geht's zum Audiocoaching zu Köderfarben.
- Meldet sich Dein Bauchgefühl, höre darauf!