Es ist Ende November 2015 und ich habe mir vorgenommen noch einmal ans Wasser zu fahren, um meinen persönlichen Saisonschluss hinter mich zu bringen und um mir einen Eindruck über ein paar neue Produkte zu verschaffen...
Die Luft ist raus
Eine seltsame Zeit liegt hinter mir und die letzten Wochen haben ihre Spuren hinterlassen, wirklich Lust habe ich nicht. Es ist ungemütlich draußen, kalt und nass, dazu noch diese lange Dunkelheit, es ist einfach nicht meine Zeit, aber in wenigen Tagen werde ich meinen neuen Job antreten und muss mich dann auf das Wesentliche konzentrieren.
4 Nächte habe ich mir vorgenommen und dann soll das Gerödel bis zum Frühjahr seine Winterruhe bekommen. Es kommt wie es kommen muss, wenn es mal nicht so läuft wie es soll: Die ersten beiden Nächte sind vorbei, Dauerregen und Sturm begleiten mich, seit dem ich aufgebaut habe. Es wird den ganzen Tag nicht wirklich hell und ich liege seit Stunden auf der Liege und blicke ins Leere. Nicht einen einzigen Ton haben die Bissanzeiger von sich gegeben, nicht einmal eine der vielen Brassen hat sich aufgehangen. Langsam aber sicher bezweifele ich, dass ich es hier noch länger aushalte. Ich nutze die Regenpause am Mittag und verabschiede mich vom Wasser, ich habe einfach kein Bock mehr und der See kotzt mich gerade so richtig an.
Ein Funke Kampfgeist
Ein kleiner Funke Kampfgeist, der noch irgendwo in meinem Hinterkopf steckt, treibt mich aber doch noch einmal an und ich beschließe, die verbleibenden Nächte an einem anderen See durchzuziehen. Die 60 Kilometer sind schnell gefahren, die Gastkarte geholt und kurz vor der Abenddämmerung kann ich die 3 Ruten mit dem Futterboot in verschiedenen Bereichen ablegen.
Das Wasser ist inzwischen gut abgekühlt und ich entscheide mich für minimales Futter. Ein kleiner PVA Sack gefüllt mit Stickmix, 3 halbierte und 3 ganze Boilies kommen zu dem Scoberry Wafter, der am Haar baumelt. Die Wafter von Successful Baits standen damals kurz vorm Release und wir aus dem Team waren schon im Herbst mehr als begeistert von den neuen, schwerelosen Hakenködern.
Meine Waffen
In meinem Fall nutze ich die 16mm Wafter in Verbindung mit den neuen 6er Kurv Shank XX von Korda, welche ich zusätzlich noch von Hand geschärft habe. Diese Kombination schwebt wie in Zeitlupe zum Gewässergrund und ist eine absolute Waffe. Wie Immer nutze ich verschiedene Boilie-Größen: 14 und 18 mm sind meine persönliche Favoriten.
Es ist kurz nach 6 Uhr am Morgen als ich wach werde, ich kann einfach nicht mehr schlafen, ich mache seit 3 Tagen gefühlt nichts anderes und so sitze ich auf dem Rand meiner Liege und trinke Kaffee. Wieder gaben die Bissanzeiger keinen Ton von sich und der letzte Funke Kampfgeist wird von der draußen herrschenden Dunkelheit weggewischt. Es reicht, Feierabend! Mein Entschluss steht fest: Sobald es hell ist, packe ich ein und fahre nach Hause.
Oh Schreck…
Es wird gerade hell, zwei Pieptöne aus der Sounderbox lassen mich hochschrecken, ich blicke zur Rute und sehe wie diese ihre Spannung verliert und der Stow Bobbin absackt. Beim Anziehen der Wattstiefel bereite ich mich bereits seelisch auf einen Brassen vor, als plötzlich die Rute rumgerissen wird und der Fisch wie ein Güterzug losdonnert.
Als ich einige Minuten später den Fisch aus der Tiefe hochbekomme und ihn in die Maschen meines Keschers lenke, trifft es mich wie ein Schlag. Ich lege die Rute beiseite und blicke auf ein massives Kraftpaket, welches ganz ruhig vor mir im Kescher steht. Scheiße, ist der groß!
Das gibt es doch nicht! Nervös ziehe ich an meiner Zigarette, den einsetzenden Regen bemerke ich gar nicht. Täusche ich mich oder ist dieser Fisch wirklich verdammt gut? Der könnte sogar die 1 Meter Marke knacken. Noch im Wasser hake ich den Fisch ab und schiebe ihn in die Wiegeschlinge. Ich muss jetzt mal eben wissen was der Bursche auf die Waage bringt.
Zweifel
Das eiskalte Wasser läuft mir in die bereits runtergerutschten Wattstiefel als ich die Waage ein drittes Mal anhebe. Ich spüre nichts, blicke nur ungläubig auf das Ziffernblatt meiner alten Waymaster. Der Zeiger rauscht in die Runde! "Kann nicht, geht nicht", murmle ich vor mich hin und senke meine zitternden Arme. Ich blicke auf die Wiegeschlinge, der Fisch wirkt einfach mächtig, trotzdem plagen mich Zweifel. Ich blicke auf die Waage und wieder zurück auf die Schlinge. Die Waage muss hinüber sein, da kann was nicht stimmen.
Als ich den Fisch aus dem Wasser hole und auf die Matte lege, erkenne ich erst wirklich seine Ausmaße, die Matte ist komplett ausgefüllt und die Schwanzflosse ragt über den Rand hinaus. Das mit der Länge ist in dem Moment auch geklärt, aber das Gewicht, da zweifle ich noch immer. Die Waage habe ich zwischen an einem Baum befestigt und mit der nassen Schlinge auf null gedreht. Einmal muss ich noch gucken, ob es wirklich stimmt. Ja, es ist so, der Zeiger dreht über die Markierung hinaus und wäre es eine Digitalwaage, würde wohl das Wort "Error" im Display erscheinen…
Mehr geht nicht!
Mir reicht es, genauer muss ich es gar nicht wissen und gebe meiner alten Waage einen Kuss auf das Ziffernblatt. Das wir beide das noch erleben und das hier bei uns im Norden, der Wahnsinn. Nach einigen Bildern mit dem Selbstauslöser, packe ich nass aber zufrieden ein, ich beende meine Saison 2015 mit dem Wissen, mehr geht nicht
Bis heute kenne ich das hundertprozentige Gewicht des Fisches nicht, aber es stört mich auch nicht. Ich muss nicht immer das Haar in der Suppe finden und gebe mich mit dem, was ich weiß, zufrieden. Es ist und bleibt ein Ausnahmefisch in unserer Region. Das Gefühl und die ganze Situation, die diesen Fang so besonders machen, sind in Zahlen eh nicht darstellbar!
Trotz allem werde ich meine gute alte Waymaster nun dieses Jahr in den Ruhestand schicken, sie hat es sich verdient – spätestens mit diesem Fisch.
Lieben Gruß
Tammo Schiller