Mein Blick schweift immer wieder auf meine Armbanduhr, ich habe das Gefühl, dass die Zeit im Schneckentempo an mir vorbeizieht. Die letzten 11 Stunden waren schier eine Ewigkeit und die letzte Stunde meiner 12-Stunden-Schicht scheint nun völlig still zu stehen. 05:30, ein kurzes Ablösegespräch mit der Folgeschicht und ab geht’s in Richtung Umkleideraum schnell geduscht und schon sitze ich in meinem Auto. Es stand die ganze Nacht auf dem Firmenparkplatz, das gesamte Tackle lud ich gestern schon ein.
Ein wenig leichtsinnig das Auto über Nacht hier stehen zu lassen, mit dieser wertvollen Ladung, für Diebe wäre es eine fette Beute gewesen. 06:30, endlich angekommen am See, ich laufe vom Parkplatz zu der Stelle am See, die ich gerne die nächsten 36 Stunden befischen möchte.
Kampf gegen die Müdigkeit
Puh - kein anderer da, als Schichtarbeiter hat man doch auch ein paar Vorteile gegenüber denen, die immer zur selben Zeit aufstehen müssen. Ein kurzer Sprint zurück zum Auto, schnell atmend öffne ich die Heckklappe von meinen Kombi. Oh Gott denke ich nur, warum im Gotteswillen braucht man nur so viele Dinge zum Angeln. Ich denke zurück an die Zeit als ich ein kleiner Junge war und ich mit meinem Fahrrad zum See fuhr.
Eine Rutentasche um die Schulter gehangen und eine Sitzkiepe auf dem Gepäckträger sollte damals reichen, um dem Fisch nachzustellen. Aber das war mal, jetzt reicht manchmal noch nicht mal mehr mein Kombi aus für die umfangreiche Ausrüstung. 10 Minuten später ist mein Trolley beladen und ich gehe in Richtung Angelstelle.
Meine Beine sind schwer und die Müdigkeit überkommt mich immer wieder, seit gestern 15:00 bin ich nun schon wach. Am Horizont sehe ich, wie sich immer mehr Wolken bilden. Da kommt gleich noch was runter, denke ich und mit diesem Gedanken im Kopf baue ich mein Camp in Rekordzeit auf.
So jetzt erstmal Füttern: Ein Mix aus Bloodworm Pellets und Bloodworm Stick Mix, der mit Response Spice Liquid versetzt wird, findet seinen Weg auf zwei Spots im Wasser. Noch jeweils zwei Hände voll N-Gage XP Boilies hinterher, fertig. Da sich die beiden Spots nicht weit vom Ufer befinden, reicht eine Futterkelle aus, um das Futter ins Wasser einzubringen.
Meine Augen werden immer schwerer, ich nehme auf meine Liege Platz und fange an zwei Rigs zu binden. Eine gefühlte Ewigkeit später stehe ich mit einer Rute am Ufer und werfe mit einem gezielten Wurf die erste Montage in Richtung Futterplatz. Mit Zeigefinger und Daumen greife ich die Schnur und spüre wie das Blei hart auf dem Grund aufschlägt. Perfekt, der Grund ist an der Stelle sauber, ich spanne die Schnur leicht und lasse ein Backlead die Schnur herabgleiten, so das sicher gestellt ist, dass alles schön unauffällig am Grund liegt.
Werfen, fühlen, absenken
Ich werfe die zweite Rute aus, doch dieses Mal schlägt das Blei weich auf. Ok Wasserpflanzen, schnell ein gekurbelt und ein zweiter Wurf. Mist schon wieder Wasserpflanzen, erst nach dem vierten Wurf liegt die Montage auf harten Grund. Ich klippe wieder ein Backlead ein und lasse es langsam die Schnur herabgleiten, bis es im Wasser verschwindet. Vorsichtig spanne ich beide Schnüre, hänge die Hänger ein und schalte meine Gardner TLB Bissanzeiger ein. Fertig.
Fix und fertig lege ich mich auf meine Liege, roll mich in meinem Schlafsack ein und rauche eine letzte Zigarette. Während meine Augen so langsam zufallen, höre ich die ersten Regentropfen auf mein Titan niederprasseln. Es gibt für mich keine bessere Einschlafmusik als diese Regentropfen, wenn gleich in meinem Zustand, auch ein Presslufthammer mich in den Schlaf wiegen könnte.
Unterwasser-Feuerwerk
Immer noch müde und leicht angeschlagen öffne ich meine Augen, im ersten Augenblick kommt mir alles fremd vor, doch dann lichtet sich der Schleier. Ich bin an dem Ort an den ich hin gehöre. Einzelne Regentropfen die der Wind von Blättern des Baums abschüttelt, tropfen auf meine Behausung. Ich versuch den Reißverschluss von meinem Schlafsack aufzuziehen, vergeblich. Das blöde Ding hat sich verklemmt. Mit Geduld und Ruhe befreie ich mich aus meinem Schlafsack, ein Blick auf meine Uhr, lässt mich doch etwas erschrecken.
Es ist schon 18:00 Uhr. Jetzt erstmal einen Kaffee, schnell kocht das Wasser und ein paar Minuten später ist der Kaffee aufgebrüht. Die Regenwolken haben sich mittlerweile verzogen und die Außentemperaturen sind sehr angenehm. Leider blieben die Bissanzeiger bis jetzt still, aber die Nacht steht ja noch bevor. Um unter ein Feuerwerk zu zünden, welches an Attraktivität und Lockwirkung kaum zu überbieten ist, bereite ich einen Bloodworm-Stick-Mix zu, den ich dann später in einen PVA Beutel fülle und auf das Vorfach mit einer Stringernadel ziehe.
In diesem Stick Mix packe ich ein paar besondere Goodies rein. Eine Hand voll 10mm Live System Boilies sowie Bloodworm Pellets. Das Ganze binde ich mit dem exzellenten Robin Red Liquid und Bloodworm Liquid ab. Das Robin Red Liquid auf Basis von Haith`s Robin Red hat eine sehr würzige Note mit einen scharfen Abgang, Karpfen lieben es.
Auf zur nächsten Schicht
Wenig Zeit später liegen wieder beide Montagen auf den Spots. Die Nacht bricht ein und ich schaue gebannt auf den See. Hier und da durchbricht ein kleiner Fisch die Wasseroberfläche und ich kann die Ringe im Mondschein sehen. Dann ein lautes Klatschen, nicht weit weg von meiner linken Angelstelle. Karpfen!
Mit einen guten Gefühl schlafe ich irgendwann ein. Ein lautes Piepen reißt mich aus dem Schlaf, ich springe auf und nehme die linke Rute in die Hand. Der Fisch zieht augenblicklich etliche Meter Schnur von der Rolle, bleibt dann stehen und zieht nach rechts in einem großen Halbkreis. Nur langsam gewinne ich die Oberhand und kann nach und nach die verlorene Schnur zurück erkämpfen. Nach einiger Zeit kann ich den Fisch keschern und ich sehe im Schein meiner Kopflampe einen schönen Schuppenkarpfen.
Es dauert nicht mehr lange bis das Dunkel der Nacht verschwindet, um 10:00 steht ein guter Bekannter neben mein Zelt und fragt mich: „Wie geht es Dir“ und im gleichen Atemzug „Und lief was?“ Mit einen glücklichen Grinsen antworte ich „Ja“. Die 36 Stunden "Schicht" nach der Schicht hat sich mal wieder gelohnt. Zufrieden und ausgeruht mach ich mich wieder auf zur Arbeit und freue mich, denn das Wochenende steht schon vor der Tür.
Mirko Schulze